Barmherzigkeit in Person: Elisabeth von Thüringen
17. Juni 2016Inspiriert von Papst Franziskus widmet die katholische Kirche in diesem Jahr ihre besondere Aufmerksamkeit dem Thema „Barmherzigkeit“. Eine Frau, deren Name geradezu zum Programm für Barmherzigkeit wurde, ist die heilige Elisabeth von Thüringen. Sie lebte zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf der Wartburg bei Eisenach. Sie wurde gerade mal 24 Jahre alt. Verheiratet war sie mit dem thüringischen Landgrafen Ludwig IV. Nach dem frühen Tod ihres Ehemanns lebte sie noch drei Jahre in Marburg in Hessen. Hier errichtete sie, wie an vielen anderen Orten vorher schon, ein Hospital für Arme und Bedürftige.
Mit Staunen schaue ich auf ihr nur kurzes Leben. Sie hat mit ihrem Ehemann drei Kindern das Leben geschenkt. Als Ludwig auf dem Kreuzzug war, regierte sie als 19-Jährige das Land und öffnete in einer mutigen Entscheidung während einer Hungersnot die Kornkammern des Landes. Sie lebte zwar oben auf der Wartburg bei Eisenach als eine der „oberen Zehntausend“. Doch es zog sie immer wieder nach unten, zu den Armen in der Stadt. Nach dem frühen Tod ihres Mannes stellte sie mit einundzwanzig Jahren ihr junges Leben ganz in den Dienst der Armen und Kranken. Sie errichtete Hospize und Krankenhäuser, sie gab ihr Witwenvermögen aus, um Armen zu helfen – bis sie 1231 starb.
Großherzig, mit offenen Armen
Für ihre Lebensführung hatte sich Elisabeth einen geistlichen Führer gewählt, Magister Konrad von Marburg, der sie mehr als streng behandelte. Für uns heute ist das kaum nachvollziehbar, aber sie hatte ihm Gehorsam versprochen. Die folgende Legende aus ihrem Leben handelt in der Zeit, als sie noch auf der Wartburg lebte. Sie ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie ihre Fantasie der Barmherzigkeit Wege bahnt:
Almosen zu geben, war ihre besondere Freude. Dass sie stets großherzig mit offenen Händen gab, war aber dem strengen Magister Konrad ein Dorn im Auge. In Sorge, sie würde am Ende auch das Letzte ihres Vermögens verschenken, versuchte er, sie mit allen Mitteln zu zügeln. Auch bestellte er Aufseherinnen, die Elisabeth kontrollieren und ihm über alles berichten mussten.
Hatte sie den Armen früher je sechs Pfennige geschenkt, befahl er ihr, nur noch einen Pfennig zu geben. Elisabeth gehorchte seinem Befehl, schenkte dafür aber umso mehr Menschen ihre Pfennige oder schenkte ihnen mehrmals nacheinander. Als ihm das gemeldet wurde, ordnete Konrad an, sie dürfe gar kein Geld mehr verteilen, sondern nur noch Brot. Aber Elisabeth ließ große Brote backen und gab den Hungernden die ganzen Laibe. Das war ihm wiederum nicht recht, und er gebot, nur noch Brotstücke zu verschenken. Auch diese Anordnung befolgte sie. Allerdings gab sie jedem sehr viele Brotstücke, wohl mehr als zu einem Laib gehörten, und die Hungernden hatten glückliche Tage.
Vorbehaltlos helfen
Diese junge Frau hatte ein Herz für die Armen. Sie wollte helfen, wo sie konnte. Aber der Magister Konrad verbot es ihr. Das brachte sie in einen Konflikt. Einerseits hatte sie ihrem geistlichen Führer Gehorsam versprochen, andererseits war da die Not der Armen, die sie auch als einen Anspruch vernahm, ja als Anspruch Gottes. Wem sollte sie mehr gehorchen. Die Antwort war für sie eindeutig. Darum findet sie Wege, die mir ein breites Grinsen ins Gesicht schreiben. Ganz schön raffiniert, wie sie das Problem löst. Sie gehorcht und tut trotzdem, was sie für richtig hält. Sie will helfen, darf aber nicht. Das macht sie kreativ. Dank dieser Kreativität haben die Armen „glückliche Tage“.
Viele Arme haben uns in Deutschland im vergangenen Jahr aufgesucht. Sie hofften und hoffen, hier ohne Lebensbedrohung leben zu können. Ihnen ist bei uns viel unchristliche Anfeindung begegnet. Aber auch viel schöpferische Liebe und Zuwendung. Ungezählte haben sich mit viel Kreativität Freiräume geschaffen, um als Ehrenamtliche für Flüchtlinge da zu sein und ihnen bei ihren ersten Schritten in unserem Land zur Seite zu stehen. Lebte Elisabeth heute, wäre sie dabei, denn sie lebte ein Christsein mit Herz und Hand.
Bildunterzeile/Fotorechte:
Brot für die Hungernden: Elisabeth von Thüringen ließ sich nicht abhalten, den Armen zu helfen. Foto: Heribert Arens
Der Franziskaner, Pater Heribert Arens, lebt im Kloster Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein in Oberfranken. Der Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität, ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Der Prediger und Katechet“ und Mitglied im Kuratorium für den „Deutschen Predigtpreis“.
Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann