Bauernproteste: Anträge ausfüllen statt Kühe füttern
21. Januar 2024Annika Pape, die als Kind auf einem Bauernhof aufwuchs, hatte sich einst geschworen, auf keinen Fall einen Landwirt zu heiraten. Doch es kam anders. Aber irgendwie auch nicht. Denn ihr Mann Jan, mit dem sie und elf Angestellte einen Milchviehbetrieb mit 280 Kühen und eine Biogasanlage in Norddeutschland bewirtschaften, ist seit einigen Jahren eher selten dort anzutreffen, wo ein Landwirt am liebsten ist: draußen oder im Stall. Sie sagt der DW: "Er verbringt derzeit 70 Prozent seiner Zeit im Büro und das ist ja eigentlich nicht das, was er mal wollte und was er mal gelernt hat. Ein Landwirt will Kühe füttern und melken und sich nicht die ganze Woche im Büro sein Hirn darüber zermartern, irgendwelche Auflagen zu erfüllen."
Pape bringt auf den Punkt, was derzeit viele Landwirtinnen und Landwirte umtreibt. Die von der Bundesregierung geplante sukzessive Streichung der Agrardiesel-Subventionen ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat - und die Bauern mit ihren Traktoren auf die Straße treibt.
Was die Bauern vor allem nervt: die überbordende Bürokratie, der Wust an Auflagen und Vorschriften, sei es aus der Landeshauptstadt Hannover, aus Berlin oder Brüssel. Die im Fall der Papes dazu führt, eine Person zusätzlich einstellen zu müssen. "Wir Landwirte mussten uns schon immer an politische Rahmenbedingungen anpassen, aber so extrem, wie es in den letzten Jahren geworden ist, geht das sprichwörtlich auf keine Kuhhaut mehr. Allein in den letzten zwei Jahren sind die roten Gebiete in unserer Region viermal geändert worden. Und wir müssen uns dann immer wieder neu überlegen, was wir düngen und anbauen dürfen."
Rahmenbedingungen wechseln ständig
Rote Gebiete sind mit Nitrat belastete Gebiete. Für die Düngung existieren dort besondere Auflagen, um die Umwelt zu schützen. In Deutschland sind rund drei Millionen Hektar als rote Gebiete ausgewiesen. Wenn Annika Pape über die politischen Entscheidungen und Richtungswechsel, das Hü und Hott der letzten Jahrzehnte erzählt, bekommt man eine Ahnung davon, was die Landwirtinnen und Landwirte zur Verzweiflung bringt.
Wo jahrelang von der Politik Spezialisierung gepredigt wird, dann wieder Diversifizierung, also erst Schweine weg und dann wieder Schweine her. Und das dann manchmal seltsame Blüten treibt. "Wir haben eine Photovoltaik- und eine Biogasanlage, aber das war nicht etwa unser Wille, sondern wurde von der damaligen rot-grünen Regierung gefördert und war politisch gewollt. 2020 haben wir die Biogasanlage flexibilisiert, dass heißt, sie läuft nur noch ein paar Stunden am Tag. Und auch das ist politisch gewollt."
Dialog mit der Politik erwünscht
Dazu passt, dass Papes ihre Milch nicht etwa zur Molkerei in den Nachbarort kutschieren, sondern ins 70 Kilometer entfernte Schleswig-Holstein. "Was uns angesichts der CO2-Bilanz natürlich vollkommen widerstrebt", klagt sie, aber die Nachbarmolkerei habe jahrelang schlechtere Milchpreise gezahlt und die Landwirte in der Gegend immer wieder aufs Neue vertröstet.
Annika Pape, die als zusätzliches Standbein einmal pro Woche in ihrem ursprünglichen Job als pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke arbeitet, sagt: "Alle Sparvorhaben zurückzunehmen, so wie unser Bauernpräsident es gefordert hat, kann die Regierung nicht machen, weil dann auch andere Berufsgruppen kommen und sagen würden, die Bauern haben nur laut genug geschrien und dann habt ihr alles zurückgenommen. Aber darum geht es den Landwirten ja vorrangig gar nicht. Ich würde mir einfach wünschen, dass wieder ein Dialog zwischen Politik und uns stattfindet."
Milchpreis deckt oft nicht die Kosten
Die niedrigen Erzeugerpreise für Milch sind ein gutes Thema, um mit Jan-Bernd Tönjes zu sprechen. Im Hauptjob Besamungstechniker, führt er zusammen mit seiner Frau und einer seiner Töchter nebenbei einen Hof mit 140 Kühen, etwa 100 Kilometer südwestlich von Annikas Papes Bauernhof. Für jeden Liter Milch bekommt er derzeit 46 Cent von der Molkerei, gleichzeitig seien aber die Kosten für die Milcherzeugung in den letzten Jahren durch steigende Energie- und Düngerkosten um zehn Cent pro Liter gestiegen.
"Wir bräuchten eigentlich 50 Cent pro Liter, um alle Kosten inklusive unseres Lohns mit abzudecken. Das Problem ist: Wir haben Tausende Bauern in Deutschland, aber nur vier oder fünf Geschäftspartner im Lebensmitteleinzelhandel. Und die würden höhere Preise 1 zu 1 an den Verbraucher weitergeben", sagt Tönjes gegenüber der DW. Und dann würden die Leute weniger kaufen.
Große Unternehmen drücken Erzeugerpreise
Handelsketten, Saatguthersteller, Zulieferer - die Landwirte stehen in der Regel sehr großen Unternehmen gegenüber, welche die Preise diktieren. Ein weiteres Ärgernis für die Bauern neben der ausufernden Bürokratie. Und dann ist da noch die fehlende Wertschätzung auch seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher: Auch wenn Umfragen immer wieder belegen, dass diese die Arbeit der Landwirte honorieren würden, geht der Griff ins Kühlregal für Fleisch oder Milch in den Supermärkten im Zweifel dann doch eher zum kostengünstigsten Produkt.
Angesichts der Inflation hat Tönjes dafür sogar Verständnis. Was ihn aber schier in den Wahnsinn treibt: die fehlende Planungssicherheit für die Landwirte. "Wir haben für knapp 1,5 Millionen in einen modernen Boxenlaufstall mit Liegebuchten für unsere 140 Kühe investiert. Aber es kann sein, dass in fünf Jahren gesagt wird, das stellen wir uns doch anders vor. Mit Legehennen und Schweinen ist das so passiert, deswegen sind auch viele Bauern ausgestiegen. Man braucht eine Sicherheit für die Planung von 20, 25 Jahren."
Höfesterben geht unvermindert weiter
Die DZ-Bank geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass das Höfesterben in Deutschland bis 2040 in großem Tempo weitergehen wird: Nur noch etwa 100.000 der rund 256.000 Höfe würden übrigbleiben, vor allem kleinere Betriebe im Nebenerwerb und ohne Nachfolger müssten aufgeben. Kein Wunder, dass bei Esther Achler das Telefon derzeit nicht stillsteht.
Die ausgebildete Agrarwissenschaftlerin hat gemeinsam mit einem befreundeten Landwirt die "Farmers Factory" gegründet. Ein Start-Up, das frei nach dem Motto "Bauer hilft Bauer" Kollegen und Kolleginnen berät, wie sie ihren Hof zukunftssicher machen können.
"Die Herausforderungen sind immens, sei es durch die Politik, sei es durch den Klimawandel. Wir haben gesagt, wir möchten die Landwirte unterstützen, dass sie sich proaktiv aufstellen für die nächsten Jahre und rauskommen aus dieser Opferrolle, weil es schlichtweg viele Dinge gibt, die wir Landwirte nicht selbst in der Hand haben", sagt sie gegenüber der DW.
Landwirte wollen sich fit für die Zukunft machen
Was vor drei Jahren zu Pandemie-Zeiten mit einigen Videokursen und digitaler Wissensvermittlung begann, hat sich mittlerweile zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell gemausert. Bäuerinnen und Bauern zwischen 26 und 53 Jahren haben sich schon angemeldet, auch Annika Pape ist dabei.
Die Fragen sind häufig die gleichen: Wie organisiere ich den eigenen Betrieb besser und mache ihn attraktiver? Wie rekrutiere ich angesichts des Fachkräftemangels Mitarbeiter und motiviere sie? Und was für Erfahrungen machen andere Bauern? "Farmers Factory" gibt ihnen die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen.
"Wenn ich nichts tue, das ist für mich Stillstand. Und Stillstand ist Rückstand und ich muss einfach weiterkommen", hört Esther Achler immer wieder. Ihr Fazit: "Wir haben in Deutschland unheimlich viel Bürokratie, unheimlich hohe Produktionskosten, hohe Umweltstandards sowie Auflagen und oftmals fachlich nicht ganz nachvollziehbare Regularien. Und am Ende des Tages bleibt für viele Landwirte nur wenig übrig und das macht es für sie sehr schwierig."