Bayreuth: Die Sehnsucht nach Erlösung
26. Juli 2024Keine Anspielungen auf die Kriege der Welt, keine Klimakatastrophen: In diesem Jahr ist die politische Weltlage bei der Premiere der Bayreuther Festspiele kein Thema. Das Publikum taucht ein in die Welt von Wagners Oper "Tristan und Isolde", die Geschichte zweier Liebenden, die nicht zusammenkommen dürfen.
Großen Applaus gab es für die Protagonisten, allen voran für Camilla Nylund als Isolde und Tenor Andreas Schager als Tristan sowie für Christa Mayer als Brangäne, Isoldes Kammerzofe. Applaus auch für den russischen Dirigenten Semyon Bychkov, der auch die dezenten Töne bei Wagner nicht scheute und den Sängern den nötigen Raum gab. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und Dramaturg Andri Hardmeier wurden dagegen mit eher mäßigem Applaus bedacht. Was szenisch und musikalisch stimmungsvoll begann, wurde mit der Zeit etwas langatmig. Auf der durchweg düsteren Bühne passierte nicht viel, die Bühnenbilder in sich blieben statisch.
Claudia Roth und die Debatte um Bayreuth
Mit verhaltenen Buhrufen war zuvor Kulturstaatsministerin Claudia Roth von Schaulustigen beim roten Teppich empfangen worden. Die Bayreuther Festspiele sind mit 60.000 internationalen Besuchern jedes Jahr das bedeutendste Opernfestival Deutschlands. Zu den Premieren kommt viel Prominenz aus Politik, Kultur und Gesellschaft. Es werden ausschließlich Richard Wagner Opern gespielt.
Genau das hatte Claudia Roth im Vorfeld der Festspiele kritisiert. Sie wollte das Programm attraktiver für ein jüngeres Publikum gestalten und auch andere Opernkomponisten in den Kanon aufnehmen. Doch der lange Arm von Richard Wagner reicht weit. Bis heute ist vertraglich festgehalten, dass ausschließlich seine Opern gespielt werden dürfen. Mittlerweile hat Claudia Roth wieder eingelenkt. "In Bayreuth Wagner zur Aufführung zu bringen, ist natürlich der grundlegende Markenkern dieses einzigartigen Festivals", sagte sie der Deutschen Presseagentur.
Die Oper Tristan und Isolde galt als unspielbar
Eine Handlung in drei Akten nannte Wagner sein Liebesdrama, in dem es um die inneren Seelenzustände zweier Verliebter geht, die zwischen glückseliger Verzückung und inneren Qualen hin und her gerissen werden.
Die Oper ist schon an sich keine leichte Kost. Sie galt zunächst als unspielbar. "Die Uraufführung war erst 1865 in München, sechs Jahre nach der Vollendung", erläutert Wagnerexperte und Leiter des Richard Wagner Museums in Bayreuth, Sven Friedrich im DW-Gespräch. Kompositorisch hat Wagner alle Grenzen der damaligen Tonalität und Harmonielehre gesprengt. "Es ist Musik, die einen packt und der man nicht entkommen kann", meint Dirigent Semyon Bychkov. "Wagner geht dabei an die Ränder der Tonalität, wobei die Musik aber immer tonal bleibt", sagt er im Interview mit den Festspielen.
Eine große Herausforderung für den Tenor ist der dritte Akt, wo Tristan nahezu im Alleingang fast vierzig Minuten über sein Leid, seine Qualen und die Sehnsucht nach Isolde singt. Es ist wohl der längste Opernpart, der je für einen Tenor geschrieben wurde.
Eine Geschichte von Liebe und Verrat
Die Vorgeschichte der Oper ist verzwickt: Zum einen, weil Ritter Tristan aus England den Verlobten der irischen Königstochter Isolde ermordet hat und sich die beiden trotzdem ineinander verliebt haben. Zum anderen, weil Tristan Isolde später seinem Onkel König Marke als Frau verspricht. Die Handlung der Oper beginnt, als Tristan Isolde auf dem Seeweg zu Marke bringen will. Die Zwangsheirat ist für Isolde ein Verrat an ihrer Liebe, der immer wieder zwischen den beiden steht.
In der Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson sitzt Isolde auf dem Schiffsdeck in einem überwallenden weißen Hochzeitskleid, auf das sie fortwährend schreibt, was sie bewegt. Worte wie Nacht, Sehnen oder Treue. "Sie ist gefangen in ihrem Brautkleid, dieser brutale Schmerz ist unbegreiflich", sagte Arnarsson vor der Presse.
Tristan und Isolde gefesselt in ihren Rollen
Im zweiten Akt ist vom Schiff nur noch der Rumpf übrig - vollgestellt mit Dingen aus der Vergangenheit. Ein mit Liebe zum Detail ausgestattetes Bühnenbild von Vytautas Narbutas. "Es ist ein Raum der Erinnerungen und gleichzeitig ein Alptraum, den Tristan und Isolde durchlaufen", erläutert Arnarsson. Denn Tristan und Isolde werden hier mit ihrer Vergangenheit und symbolisch auch mit ihren Rollen konfrontiert. Sie - die unmündige Prinzessin, er - der tragische Held, auf der Suche nach Anerkennung.
Im dritten Akt ist das Schiffswrack in Einzelteile zerlegt und Tristan liegt wie im Delirium auf den zu einem Haufen zusammengekehrten Erinnerungsstücken. "Und dann zerfällt der Traum, denn der Verrat ist ja da und auf dem Scheiterhaufen der Hoffnungen liegt Tristan im Sterben", sagt Thorleifur Örn Arnarsson.
Am Ende suchen die beiden mit Hilfe eines Gifttranks die Erlösung von ihren Qualen im Tod. Dass König Marke derweil eingesehen hat, dass die beiden zueinander gehören, und darauf verzichten will, Isolde zu heiraten, bekommen die Liebenden nicht mehr mit.
Das Besondere an Wagners Lebenssituation
Wagner hat sich gerne der Mythen- und Sagenwelt anderer Kulturen bedient. Die Geschichte von Tristan ("der Traurige") und Isolde basiert auf einer keltischen Sage. Bis an sein Lebensende war der Komponist auch von Indien und dem Buddhismus begeistert. Das Mitgefühl und die Erlösung im Nirwana sind im Buddhismus zentrale Punkte, die auch die Komposition von Tristan und Isolde beeinflusst haben.
Zu jener Zeit hatte Wagner ein Verhältnis mit Mathilde Wesendonck, der Frau seines Gönners Otto Wesendonck. Wagner und Mathilde waren beide verheiratet, auch das eine "verbotene Liebe".
Zum Buddhismus kam Wagner über Schopenhauers Philosophie. "Das Leben ist Leiden, weil es von einem Willen beherrscht wird, einer Triebkraft entspringt, die den Menschen gefangen hält", erläutert Sven Friedrich. Überwinden könne man diesen Willen und diese Triebkraft, zu der auch der Sexualtrieb gehört, nur durch Askese und Entsagung, um dann ins Nirwana zu gelangen. In jenen Zustand des Buddhismus, in dem es kein Leid mehr gibt.
Wagner hat das für sich etwas abgewandelt. Für ihn wird der Wille nicht nur durch Entsagung, sondern auch durch die Kraft der Liebe überwunden, eine Liebe, die bis in den Tod geht.
Frauen geben in dieser Saison den Ton an
Bei Wagneropern spielt das Thema der Erlösung generell eine große Rolle. Sei es durch den Tod, die Liebe einer Frau oder einen Helden. So ein Held ist "Parsifal". In der Inszenierung von Jay Scheib, die im vergangenen Jahr Premiere hatte, ging es dabei auch um Themen wie Klimakatastrophe, Krieg und die Digitale Welt. Zuschauer können mit Augmented Reality Brillen auch in dieser Saison wieder in eine Parallelwelt eintauchen.
War die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv vor vier Jahren noch die erste Frau, die je bei den Richard Wagner Festspielen am Dirigentenpult gestanden hat, so sind es in diesem Jahr bereits drei Dirigentinnen in Bayreuth vertreten und damit in der Überzahl.
Oksana Lyniv dirigiert wieder Wagners Fliegenden Holländer. Die französische Dirigentin Nathalie Stutzmann dirigiert wie schon im vergangenen Jahr die vielgelobte "Tannhäuser"-Inszenierung von Tobias Kratzer. Und die australische Dirigentin Simone Young hat die Mammutaufgabe, den "Ring des Nibelungen", inszeniert von dem Österreichers Valentin Schwarz, musikalisch zu leiten.
Ein Ausblick auf das große Jubiläum
2025 ist eine Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" vorgesehen. Wagnerfans fiebern bereits dem 150-jährigen Jubiläum der Festspiele 2026 entgegen, denn da werden alle 10 Wagner-Opern aus dem immer wiederkehrenden Festspiel-Kanon aufgeführt. Außerdem soll – obwohl Wagner auch das seinerzeit untersagt hat – erstmals seine frühe Oper "Rienzi" im Festspielhaus szenisch dargeboten werden.