Utopie oder Menschenrecht?
5. Juni 2016Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Am vergangenen Sonntag prangte dieser 400 Meter lange Schriftzug auf Englisch für mehrere Stunden auf der Straße des 17. Juni in Berlin. Die Aktion sollte auch in Deutschland auf die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) aufmerksam machen.
Die CDU hat eine Volksabstimmung bislang abgeblockt, auch wenn es Befürworter in ihren eigenen Reihen gibt. Doch nun hat das "Netzwerk Grundeinkommen" eine entsprechende Petition eingereicht - mit 109.000 Unterschriften.
Pilotprojekte in Deutschland
Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens ist erst einmal simpel: Jeder Bürger erhält regelmäßig einen festgelegten Betrag - ohne dafür zu arbeiten. Wenn es nach den Verfechtern der Idee geht, würden die Menschen sich durch das gesicherte Einkommen mehr engagieren und die Dinge verwirklichen, die sie tatsächlich machen wollen.
So wie Christoph, einer der ersten Gewinner der deutschen Initiative "Mein Grundeinkommen", die über Crowd-Funding einige Bewerber ein Jahr lang mit 1000 Euro im Monat finanzieren. Er schreibt auf der Webseite, dass er dadurch seinen Callcenter-Job kündigen und eine Ausbildung zum Erzieher anfangen konnte. 43 Grundeinkommen wurden seit dem Start des Projekts im Juli 2014 ermöglicht. Durch den begrenzten Zeitraum ist der Effekt aber nicht unbedingt mit einer langfristigen Umsetzung gleichzusetzen.
Debatte lebt in Deutschland auf
Vorschläge, ein bedingungsloses Grundeinkommen auch in Deutschland einzuführen, gab es bereits zur Genüge. Unter dem Althaus-Modell bekannt, schlug der CDU-Politiker Dieter Althaus 2006 ein Bürgergeld in Höhe von 800 € vor. Auch dieses berief sich wiederum auf andere Modelle, wie das der Universität Ulm aus dem Jahr 1996. Doch der Vorschlag verschwand wieder in der Versenkung. Zu groß war die Angst, dass sich die Menschen aus der Arbeitsgesellschaft zurückziehen würden.
Laut Netzwerk-Grundeinkommen-Mitglied Ronald Blaschke war das Althaus-Modell eher als partielles Grundeinkommen gemeint und hätte etwa bei Hartz-IV-Niveau gelegen. Das sei zu wenig. "Wir orientieren uns an der Armutsgrenze, was die Existenz- und gesellschaftliche Teilhabesicherung betrifft, und die beläuft sich 2016 auf etwas über 1000 Euro netto." Zusätzlich müsse z. B. die Gesundheitsversorgung gesichert werden. Dafür benötigt der Staat eine Menge zusätzliches Geld. Alles eine Frage der Umverteilung, meint Blaschke.
Zahlreiche Finanzierungsmodelle
Das sehen einige Ökonomen anders. Heiner Flassbeck, ein ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, schrieb 2012 das Buch "Irrweg Grundeinkommen". Eine Einführung "würde das Zweifache des deutschen Steueraufkommens bedeuten. Wenn man es bedingungslos macht, müsste man die deutschen Steuern verdreifachen". Das hätte wiederum unglaubliche Umverteilungsauswirkungen, die nur schwer zu berechnen wären, sagt Flassbeck. Auf der Webseite von Netzwerk Grundeinkommen sind verschiedene Finanzierungmodelle gelistet. Festlegen will sich Blaschke im Interview mit DW nicht.
Unsicherheit dominiert
Ein weiteres Argument von Kritikern ist die fehlende Wirtschaftsleistung. "Man gibt den Menschen formal die Möglichkeit, ein Drittel weniger zu arbeiten“, sagt Flassbeck. "Wenn die Leute wirklich alle ein Drittel weniger arbeiten, können wir die wirtschaftliche Leistung, mit der wir das finanzieren wollen, gar nicht mehr aufrechterhalten.“ Auch ein Ansteigen der Schwarzarbeit sei bei einer Steuererhöhung zu befürchten. Umfragen würden laut Blaschke aber das Gegenteil voraussagen: Die Menschen würden trotzdem weiterarbeiten. "Was aber stimmt, ist, dass man sich mit 1000 Euro mehr Freizeit leisten kann, mehr für die Familie, für bürgerschaftliches Engagement", sagt Blaschke.
Fakt ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen in diesem Umfang noch nicht ausprobiert wurde und über die Effekte auf beiden Seiten nur spekuliert werden kann. In anderen Ländern werden derzeit Versuche gestartet. In Utrecht in den Niederlanden willl man die Auswirkungen des bedingungslosen Einkommens bei Sozialhilfempfängern testen. Auch Finnland plant bis 2017 ein ähnliches Projekt. Das Interesse der EU-Bürger ist in jedem Fall da. Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Dalia Research ergab, dass 64 Prozent sicher oder wahrscheinlich für ein bedingungsloses Grundeinkommen stimmen würden.
Neuverteilung in Zeiten der Digitalisierung
Warum sich gerade jetzt so viele Länder mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigen, sei mit gesellschaftlichen Veränderungen zu erklären, sagt Blaschke. Die zunehmende Digitalisierung verändere die Arbeitswelt, und mit ihr müsse auch die Lohnarbeit überdacht werden. "Wir schwimmen im Überfluss. Um Profit zu generieren, werden immer wieder neue Produkte auf den Markt gebracht. Forschung und Entwicklung und Marketing würden dabei aber die meisten Kosten verschlingen", sagt Blaschke. "Wir könnten durch die Digitalisierung viel entspannter leben, doch es stellt sich die Frage, wie mit einem fehlenden Erwerbseinkommen umgegangen wird. Daher brauchen wir einen anderen Verteilungsmechanismus." Flassbeck hält das Argument von der zukünftigen Erwerbslosigkeit allerdings für zu weit hergeholt.
Die Abstimmung in der Schweiz
Im vorgeschlagenen Verfassungstext der Schweiz werden weder Finanzierung noch Höhe des Betrags erwähnt. Es heißt lediglich, dass das Grundeinkommen "der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen soll." Auf die Details soll man sich später einigen. Durch die hohen Lebensunterhaltskosten in dem Land wird derzeit über einen monatlichen Betrag von 2500 Franken, umgerechnet 2250 Euro, diskutiert.
Selbst wenn die Mehrheit dagegen votiert - wie nun tatsächlich geschehen, halten Befürworter wie Aktivist Ronald Blaschke das Referendum für einen Erfolg. "Wir haben das Grundeinkommen dadurch in der öffentlichen Debatte, in der Schweiz und Deutschland."
Bedingungsloses Grundeinkommen ist in Deutschland - wenn überhaupt - ein Zukunftsprojekt. Der Weg dahin kann mit kleinen Schritten getestet werden - zum Beispiel bei Sozialhilfeempfängern oder Senioren. Blaschke ist überzeugt, dass die Bundesregierung sich in den nächsten zwei bis drei Legislaturperioden damit befassen wird. "Wir lassen nicht locker."