Der Klimawandel und Italiens "Wald der Geigen"
28. Februar 2019Zwei Tage brauchte Antonio Stradivari im 17. Jahrhundert, um von seiner Heimatstadt Cremona zum Paneveggio-Wald in Norditalien zu reisen. Dort wollte er das perfekte Holz für seine Instrumente finden, die später einmal Weltruhm erlangen sollten.
Wegen ihrer herausragenden Klangqualität werden Original-Stradivari-Instrumente heutzutage oftmals für Millionen Dollar gehandelt. Und mehr als 300 Jahre nach dem Tod des berühmtesten Geigenbauers der Welt verwendet man immer noch Bäume aus diesem großen Fichtenwaldgebiet für den Bau von hochwertigen Violinen, Cellos, Kontrabässen und Klavieren.
"Das berühmte singende Holz bekommt zunehmend die Folgen des Klimawandels zu spüren”, sagt der örtliche Förster Paolo Kovacs, während er seinen Geländewagen über einen schmalen Bergpfad im idyllischen Fleimstal steuert. Extreme Wetterphänomene machten dem Holz zu schaffen.
Vergangenen Oktober entwurzelte ein ungewöhnlich heftiger Sturm mehr als 14 Millionen Bäume in den Dolomiten. Hier liegt auch der Paneveggio-Wald.
"Das sind fast alles Abete Rosso," sagt Kovacs. Abete Rosso ist der italienische Name für die Rotfichte. Unzählige Bäume sind an den Berghängen umgestürzt. "Die haben relativ kurze Wurzeln, deshalb fallen sie leichter um."
In diesem Bereich hat nur eine einzige 25 Meter hohe Fichte den Sturm überlebt. "Diese ist um die 150 Jahre alt", sagt Kovacs und zeigt auf den Baum. "Es ist ein kleines Wunder, dass sie noch da ist. Vielleicht wurde sie durch andere Bäumen geschützt oder sie hat ungewöhnlich lange Wurzeln."
Eine lange Geschichte
Mehr als 250 Kilometer entfernt, in einer Werkstatt im Städtchen Cremona, wo Stradivari lebte und arbeitete, fährt Geigenbaumeister Stefano Conia mit dem Daumennagel über die Ringe in einem Stück Holz. Sie sind bemerkenswert nah beieinander und sehr gleichmäßig, alle etwa einen halben Zentimeter voneinander getrennt.
"Hören Sie", sagt er, "so sollte es sein. Das wird eine großartige Violine."
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Der 73-Jährige kennt sich aus, er baut seit 45 Jahren Violinen. Er sagt, es ist diese Gleichmäßigkeit, die die Rotfichte für den Bau von Instrumenten so geeignet macht. Allerdings bei weitem nicht jede Rotfichte. Für jeden Baum, der am Ende verwendet wird, werden 20 bis 30 gefällt, die ungeeignet sind.
Conia ist einer von 156 Geigenbauern in dieser Stadt, die zum Zentrum der Herstellung von hochwertigen, handgemachten Instrumenten geworden ist. Die lange Tradition dieses Handwerks und die Nähe zu den Wäldern zieht Menschen aus aller Welt an, die die Kunst des Geigenbaus erlernen wollen. Conia selbst stammt aus Ungarn.
Auf den Spuren Stradivaris zog auch Giorgio Grisales nach Cremona. Der Geigenbauer, der ebenfalls seine eigene Werkstatt hat, kam in den 1970er Jahren aus Medellin, Kolumbien. In einer Ecke von Girsales' Werkstatt formt ein junger Mann aus Japan ein langes Stück Holz zu einem Hals für ein Cello.
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Während manche befürchten, dass diese jahrhundertealte Tradition durch den Klimawandel bedroht ist, macht sich Sandro Asinari, Vizepräsident von Cremonas Geigenbauer-Innung keine Sorgen. Zumindest nicht um die Schäden, die der Sturm im Oktober verursacht hat.
"Die Wälder sind riesig", sagt er. "Ich weiß, dass viele Bäume beschädigt worden sind, aber ich weiß auch, dass die örtlichen Förster intensiv daran arbeiten, die Bäume zu retten, die umgeknickt sind. Die Innung hat ein lokales Holzverarbeitungsunternehmen beauftragt, die umgefallenen Bäume einzusammeln und sie in Stücke zu sägen, damit daraus Instrumente hergestellt werden können. "Abgesehen davon pflanzen sie gerade neue Bäume. Ich bin sehr optimistisch", fügt Asinari hinzu.
Bäume brauchen Zeit
Förster Paolo Kovacs dagegen sagt, es wird den Instrumentenbauern kurzfristig nicht helfen, neue Bäume zu pflanzen. Eine Fichte muss mindestens 150 Jahre alt sein, bevor man aus ihrem Holz eine Violine bauen kann. Für ein Cello oder einen Kontrabass muss der Baum sogar noch älter sein.
Darüber hinaus machen Kovacs der Klimawandel und die sich verändernden Wetterbedingungen Sorgen. Der Sturm, der die Dolomiten im Oktober heimgesucht hat, war schon deshalb so außergewöhnlich, weil der Wind normalerweise aus Nordosten von den Alpen kommt.
"Dieser kam von Südosten, von der Adria. Er war wärmer als gewöhnlich, er war stärker als gewöhnlich und er brachte mehr Regen als gewöhnlich", sagt Kovacs und fügt hinzu, dass die Wetterlage den Bedingungen ähnele, durch die in den südlichen USA Hurrikans entstehen.
Letztes Jahr war das heißeste Jahr in Italien seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1800. Es war 1,5 Grad Celsius wärmer, als die durchschnittlichen Temperaturen von 1961 bis 1990. Die Durchschnittstemperatur im Land ist um 0,1 Grad mehr angestiegen, als im restlichen Europa. Es ist unklar, warum sich Italien schneller erwärmt.
Die Auswirkungen sind im ganzen Land zu spüren, nicht nur in den Geigenwäldern. Etwa zur gleichen Zeit, als die Stürme in der nördlichen Provinz Trentino wüteten, starben weiter südlich auf Sizilien zehn Menschen aufgrund von Überschwemmungen.
"Ich denke, wir müssen uns daran gewöhnen", sagt Kovacs. "Die Gesamttemperatur der Atmosphäre steigt, dadurch wird das Wetter extremer. Das haben wir hier gesehen."
Obwohl sich Sandro Asinari nicht allzu viele Sorgen macht, trifft die Innung Vorbereitungen, um die Zukunft ihres Handwerks im Hinblick auf den Klimawandel zu sichern.
"Wir kaufen Teile der Wälder auf, um sie in Zukunft besser kontrollieren zu können", sagt er über die staatlichen Paneveggio-Wälder. "Wir sind überzeugt, dass unsere Tradition weitere 400 Jahre überdauern wird."