Beethovenfest 2023: Die Zukunft hat begonnen
25. September 2023Wo ist hier bitteschön der zweite Rang? Zwei sehr junge Menschen suchen verzweifelt nach ihrem Platz in der ausverkauften Oper Bonn. Gerade haben sie die beiden allerletzten Karten für das komplett ausverkaufte Abschlusskonzert des Beethovenfestes 2023 ergattert. Beide leben in Bonn und besuchen nach eigener Auskunft zum ersten Mal das Opernhaus.
Es hat sich eben herumgesprochen, dass das "neue Beethovenfest" etwas "ganz Tolles" ist. Die beiden Freunde waren schon in unterschiedlichen Veranstaltungen und schwärmen davon. Nun nutzen sie die letzte Chance, um auch noch dieses Konzert zu erleben.
Abschlusskonzert: ein Höhepunkt des Festivals
Eine bessere erste Berührung mit der Musik der Klassik hätte man sich kaum vorstellen können: Zart und sinnlich formte der 40-jährige britische Dirigent Robin Ticciati mit seinen Händen, ganz ohne Dirigentenstab, den Klang der "Liebesszenen" aus "Romeo und Julia" von Hector Berlioz. Passioniert und energiegeladen, fast wie ein Rockstar, spielte Starviolinist Christian Tetzlaff das Violinkonzert von Robert Schumann.
Beethovens 7. Sinfonie bildete den krönenden Abschluss des Abends mit dem Chamber Orchestra of Europe. Das großartige Ensemble vereinigt rund 60 Solisten aus fast zwanzig europäischen Nationen - Menschen, die wissen, wie sie ihre Passion für die Musik weitertragen.
Passion weitergeben
Das gilt auch für das Team des Beethovenfestes, geleitet von Intendant Steven Walter. Zum zweiten Mal findet das Beethovenfest unter der Regie des heute 37-Jährigen statt. Und landete einen absoluten Erfolg, was die vollen Ränge und eben viele junge Gesichter im Publikum bestätigen.
"Ich bin sehr zufrieden und glücklich, wenn auch todmüde", sagte Walter kurz vor dem Abschlusskonzert. "Ich freue mich sowohl über die Besucherzahlen, die besten seit mindestens acht Jahren, als auch vor allem darüber, dass künstlerisch so vieles sehr gut aufgegangen ist."
Musik, die Lebensgeschichten erzählt
Am 31. August 2023 startete das Festival in Ludwig van Beethovens Geburtsstadt, am 24. September, dreieinhalb Wochen und fast hundert Konzerte später wird nun Bilanz gezogen.
In der alten Bonner Fahnenfabrik, einer imposanten, von der Industrie verlassenen Halle, präsentierte das innovative Stehgreif-Orchester sein Plädoyer für Nachhaltigkeit - passend zum Motto des Festivals, "Über Leben". Die Berliner Starchoreografin Sascha Walz und ihr Ensemble verzauberten das Publikum mit einer magischen Tanzversion des frühen Werks "In C" des amerikanischen Minimalisten Terry Riley.
Junge Musiker und Musikerinnen begeisterten das Publikum bei den mittlerweile zur Tradition gewordenen Matineen, auch an ungewöhnlichen Orten wie im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags. "Regelmäßige Konzerte dieser Qualität in jedem Parlamentssaal dieser Welt würden die Weltpolitik verbessern", konstatierte einer der zahlreichen Hörer des Live Streams der DW. Insgesamt streamte die DW fünf Konzerte des Festivals.
Gemeinsam mit der DW präsentierte das Festival auch das neue Format, bei dem der Intendant Walter junge innovative Künstler in seinem Privathaus bei Bonn begrüßt, und das Campus-Projekt, das diesmal Afghanistan und Iran in den Mittelpunkt rückte.
oneMusic: Eine Reise ins Unbekannte
Und welches Festival kann sich schon mit der Neugründung eines Orchesters schmücken? Genau das passierte beim Beethovenfest. In unmittelbarer Nähe zur Geburtsstätte Ludwig van Beethovens präsentierten der israelisch-amerikanische Dirigent Yoel Gamzou und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter ihr oneMusic Orchestra.
Gamzous Ziel hört sich zunächst utopisch an: Bei jedem Konzert sollen mindestens 50 Prozent neuer Werke erklingen, frisch geschrieben von Komponistinnen und Komponisten mit jeweils völlig unterschiedlichem musikalischem Hintergrund - wie etwa Film- oder Pop-Musik.
Man möchte Musik präsentieren, die nichts mit dem oft sterilem, kopflastigem Lager der "Neuen Musik" zu tun hat, das sich seit der Nachkriegszeit von der absoluten Mehrheit des Publikums bewusst isoliert hat.
"Mit diesem Orchester habe ich mir ein großes Ziel gesetzt, nämlich nichts weniger, als die Klassik-Szene neu zu denken und eine Zukunft zu schaffen, in der die klassische Musik ein wachsendes, lebendiges, nachhaltiges Publikum hat", so Gamzou im DW-Gespräch. "Wir wollen Musik aufführen, die zugleich tiefsinnig und zugänglich, sinnlich und fordernd ist. Neue Musik, die berührt und begeistert!"
Mit dem ersten Konzert ist das Experiment bereits geglückt - allein dadurch, dass es sich ganz und gar in die Aufbruchsstimmung des Festivals fügte.