Britische Kriegsverbrechen im Irak?
11. Januar 2014Zwei Nichtregierungsorganisationen werfen der britischen Armee systematische Folter und Kriegsverbrechen im Irak-Krieg vor. Konkret geht es um den Zeitraum 2003 bis 2008. Die Organisationen haben am Freitag beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Strafanzeige erstattet. Die Klage richtet sich gegen die britische Regierung, wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) nach gemeinsamen Recherchen berichten.
Bei den Organisationen handelt es sich um das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin und die Public Interest Lawyers (PIL), eine gemeinnützige Anwaltskanzlei aus Birmingham. Sie haben insgesamt 109 ehemalige irakische Gefangene befragt, die ihre Erlebnisse zu Protokoll gaben.
"Die Verantwortung von Vertretern des Vereinigten Königreichs"
In der 250 Seiten starken Klageschrift, in die Journalisten von SZ und NDR vorab Einblick bekamen, fordern die Anwälte Ermittlungen gegen hochrangige britische Kommandeure, damalige Minister und Staatssekretäre. Das Dokument trägt den Titel: "Die Verantwortung von Vertretern des Vereinigten Königreichs für Kriegsverbrechen - darunter systematische Misshandlungen von Gefangenen im Irak in den Jahren 2003 bis 2008."
Die umfassenden Schilderungen der 109 Ex-Gefangenen aus fünf verschiedenen Internierungslagern im Südosten des Iraks lassen laut ECCHR und PIL ein gleiches Muster sexueller und religiöser Erniedrigung und körperlicher Gewalt erkennen. Die Organisationen werten diese Tatsache als Beweis für angeordnete Folter. Den Häftlingen soll zudem damit gedroht worden sein, dass sie in das berüchtigte US-Foltergefängnis Abu Ghraib verlegt würden.
400 Ex-Häftlinge berichten von schwersten Misshandlungen
Insgesamt sollen sich in den vergangenen Jahren mehr als 400 ehemalige irakische Häftlinge an die PIL gewandt und von "schwersten Misshandlungen und Erniedrigungen durch britische Soldaten" berichtet haben. Die britischen Behörden hätten es bisher versäumt, die Vorwürfe gründlich zu untersuchen und vor allem der "Verantwortung hochrangiger militärischer und ziviler Entscheidungsträger" nachzugehen, beklagen die beiden Nichtregierungsorganisationen.
London: "Nur wenige Misshandlungsfälle"
Das britische Verteidigungsministerium bestätigte am Freitagabend auf eine gemeinsame Anfrage von "Süddeutscher Zeitung" und NDR, dass es im Irak zu Misshandlungen durch britische Soldaten gekommen sei - jedoch nur in wenigen Fällen. Das Ministerium zeigte sich zudem "enttäuscht", dass die Anwaltsgruppe Public Interest Lawyers nun einen weiteren Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof bringt. Dies halte man für unnötig.
Bereits vor acht Jahren hatten Anwälte der PIL versucht, die britische Regierung für Folter im Irak zur Verantwortung zu ziehen. Vergebens: Der Internationale Strafgerichtshof wies die Klage letztendlich mit der Begründung ab, die Beweise reichten nicht aus. Dieses Mal könnte das Verfahren eine andere Wendung nehmen.
se/gri (SZ, NDR, dpa, afp)