Benjamin: "Ich bereue nichts"
31. März 2014Er bereut nichts. Im November 1969 organisierte Cid Benjamin in Brasilien die Entführung des damaligen US-Botschafters Charles Burke Elbrick. Die spektakuläre Aktion ging in die brasilianische Geschichte ein. Heute ist Benjamin der Sprecher der nationalen Wahrheitskommission im Bundesstaat Rio de Janeiro, die die Verbrechen der Diktatur aufarbeitet.
DW: Der bewaffnete Widerstand der Linken während der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) wird heute häufig kritisiert. Die Linke sei genauso wenig demokratisch gewesen wie die Generäle. Stimmt das?
Cid Benjamin: Nein. Die Anführer des Putsches 1964 waren dieselben, die schon 1954 den damaligen Präsidenten Getulio Vargas in den Selbstmord getrieben hatten. Mit der Außerkraftsetzung der Verfassung 1967 verschärfte sich die Diktatur dann weiter. Und dies hatte dazu geführt, dass sich Teile der Opposition für den bewaffneten Widerstand entschieden.
War dies die richtige Entscheidung?
Auch wenn sich der Weg als politisch falsch erwiesen hat, war es legitim, zu den Waffen zu greifen, um ein Regime der Unterdrückung zu bekämpfen. Diese Art des Widerstands wird auch in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und von der katholischen Kirche anerkannt. Politisch ging der Widerstand von falschen Voraussetzungen aus, denn die große Mehrheit der Bevölkerung war nicht bereit, sich unserer Bewegung anzuschließen und die Diktatur zu stürzen.
War der bewaffnete Kampf unvermeidlich?
Der Widerstand stieß irgendwann an seine Grenzen - in den institutionellen Bahnen war der Kampf nur sehr eingeschränkt möglich. Aber es gab die Beispiele aus Kuba und Vietnam, wo der bewaffnete Volksaufstand die amerikanischen Invasoren vertrieben hatte. Das hatte uns beeinflusst. Aber ich bin überzeugt: Wenn das Regime die Schrauben nicht angezogen hätte, wäre es nicht in dieser Form zum bewaffneten Kampf gekommen.
Sie waren damals 21 Jahre alt. Ahnten Sie, dass ein Sieg praktisch unmöglich war?
Wir dachten, es würde ein langer, harter Kampf, aber wir hofften auf einen Sieg. In Kuba und Vietnam hatte es sich ja gezeigt, dass der Schwächere den Stärkeren mit Guerillamethoden besiegen konnte. Wenn wir damals unsere Niederlage vorausgeahnt hätten, hätten wir natürlich nicht gekämpft.
Wie entstand die Idee, den damaligen amerikanischen Botschafter Charles Burke Elbrick zu entführen?
Die Idee stammte von mir und Franklin Martins (Journalist und ehemaliger Minister für Kommunikation 2007 -2010. Anm. d. Red.). Als wir uns in Rio trafen, wurden wir zufällig von dem Auto des amerikanischen Botschafters überholt. Es fuhr immer die gleiche Strecke, hatte eine amerikanische Flagge am Heck und es gab keinerlei Sicherheitsvorkehrungen.
Die Entführung scheint relativ einfach gewesen zu sein….
Die Entführung war einfach, die Freilassung hingegen schwer. Sie haben unser Versteck gefunden und das Haus umstellt. Als wir mit dem Botschafter herauskamen, haben sie uns verfolgt. Es gab filmreife Szenen, eine Verfolgungsjagd im Auto, wir haben rote Ampeln ignoriert und sind den Bürgersteig entlang gerast.
Zu Ihren Forderungen gehörten das Vorlesen eines Manifests im Fernsehen und die Freilassung von 15 Gefangenen. Was hätten Sie getan, wenn die Forderungen nicht erfüllt worden wären?
Wir hätten den Botschafter umgebracht. Das hört sich heute merkwürdig an. Aber wir waren sicher, dass die Militärs unsere Forderungen erfüllen würden, sie waren einfach zu unterwürfig gegenüber den USA.
Der Botschafter hat Sie nicht verraten….
Er hatte sich nach seiner Freilassung positiv über uns geäußert. Wir seien jung und idealistisch und wollten das Beste für unser Land. Natürlich war er mit unseren Methoden nicht einverstanden, aber er respektierte uns und fand uns mutig. Wir hatten ein herzliches Verhältnis. Er hat uns gegenüber Folter und Zensur kritisiert. Als er gefragt wurde, ob er uns identifizieren könne, hatte er dies verneint.
Sie haben für Ihren Widerstand einen hohen Preis gezahlt: Folter, Haft und Exil. Bereuen Sie Ihre Taten?
Ich wurde kurz nach der Entführung festgenommen und war zwei Monate in Haft. Ich bereue nichts, es hat sich gelohnt. Ich würde alles noch einmal machen, allerdings auf eine andere Art und Weise, denn im Nachhinein erkenne ich Fehler in unserer Strategie. Doch die generelle Ausrichtung unseres poltischen Kampfes, den Widerstand gegen die Diktatur, halte ich nach wie vor für richtig.
Würden Sie sich heute noch als Kommunisten bezeichnen?
Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges in Osteuropa betrachte ich mich nicht mehr als Kommunisten. Die Regime in Osteuropa haben mit meinen Vorstellungen von Kommunismus nichts zu tun. Ich plädiere für ein sozialistisches demokratisches System mit Meinungsfreiheit und mehreren Parteien.
Wie bewerten Sie den Umgang Brasiliens mit den Verbrechen der Militärdiktatur?
Wir sind total im Rückstand. Die nationale Wahrheitskommission wurde erst 2012 eingerichtet. Die Diktatur endete 1985. Andere lateinamerikanische Länder waren sowohl bei der Aufarbeitung als auch bei der Bestrafung der Verantwortlichen für die Verbrechen zügiger vorgegangen.
Woran liegt das?
Das liegt an der Art und Weise, wie die Militärdiktatur in Brasilien endete. Die Generäle haben den Prozess gesteuert. Sie wollten die Kontrolle behalten, um soziale Reformen zu verhindern und um die Verbrechen zu verschleiern. Die unter General Ernesto Geisel begonnene politische Öffnung zog sich über zehn Jahre hin. Die Wahrheitskommissionen hätten schon vorher einberufen worden sein müssen.
In Ihrem neuen Buch schlagen Sie versöhnliche Töne an. Woher kommt die Milde?
Ich trage keine Rachegefühle oder persönlichen Hass in mir, auch nicht gegenüber meinen Folterern. Aber ich will, dass die Dinge beim Namen genannt werden, dass die Verantwortlichen auf die Anklagebank kommen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Leute in Brasilien wissen, was sich in den Folterkellern zugetragen hat und die Verantwortlichen dafür verurteilt werden - trotz der Amnestie-Regelung. Diese Phase müssen wir durchlaufen.
Cid Benjamin, 65 Jahre, war einer der führenden Widerstandskämpfer während der brasilianischen Militärdiktatur. Nach seiner Freilassung 1970 verbrachte er zehn Jahre im Exil in Schweden, Algerien, Kuba und Chile. In seinem neuen Buch "Gracias a la vida" beschreibt er die Erinnerungen an den bewaffneten Widerstand der kommunistischen Untergrundbewegung MR-8.