Modestadt Berlin will nach oben
1. Juli 2009Berlin ist auf dem besten Weg, eine Modemetropole zu werden. Inzwischen residieren mehr als 600 Modemacher an der Spree. Und kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein neuer Shop aufmacht und nicht ein neuer Designer versucht, seine Marke zu positionieren. Außerdem haben zahlreiche Vertriebsagenturen mittlerweile ihren Sitz von der bisherigen Mode-Hochburg Düsseldorf nach Berlin verlegt. Diese Entwicklung hat auch die UNESCO überzeugt: sie verlieh Berlin im Jahre 2006 den Titel "Stadt des Designs". Mit der Kreativität ist auch die Produktivität gewachsen. Fast alle Designer können in Berlin selbst oder im Umland ihre Ware produzieren lassen.
Die Modestadt Berlin wird erwachsen
Neun Modeschulen und Universitäten bilden Nachwuchs aus. Seit 2005 hat der Senat die Stadt als Modestandort mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert. Viele Abgänger der Modeschulen schicken während der "Fashion Week" ihre ersten Kollektionen ins Rennen. Einige von ihnen verschwinden allerdings schnell wieder von der Bildfläche. Denn die gesamte "Kreativindustrie" einschließlich der Modebranche kommt in Berlin nur auf einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro im Jahr - das ist weniger als große Firmen wie Armani, Prada, Gucci oder Diesel jeweils allein erwirtschaften. Auch wenn viele Berlin für das Mekka der Modeszene halten, ist es immer noch schwer auf den Kleiderschauen Geld zu verdienen. "Der Abstand zu Mailand, Paris, New York ist noch extrem groß. Und das liegt nicht nur an dem Programm der Modenschauen, sondern an der Orderqualität", meint Nadine Barth, Autorin des Buchs "Berlin Fashion".
Japaner tragen Berliner Mode
Das Duo "c.neeon" verkauft seine knalligen Entwürfe in 25 Länder. In Japan sind die beiden Designerinnen sogar absolute Topstars. Ihre Mode hängt auch in Geschäften von Panama bis Island. Nur in Deutschland haben Clara Leskovar und Doreen Schulz Absatzschwierigkeiten. Farbiges habe es in Deutschland schwer. "Der Hamburger würde nie "c.neeon" tragen, aber die Berliner, die das Label kennen, bleiben uns schon treu", meint Doreen Schulz.
Auch Anuschka Hövener kann mittlerweile ihre Kollektion international verschicken. Ihr Hauptabsatzmarkt ist Japan. In Berlin hat die Modedesignerin zwar Stammkundinnen, aber ihr kleiner Laden an der Kastanienallee existiert zum größten Teil durch Laufkundschaft. Leyla Piedayesh mit ihrem Label La La Berlin ergeht es ähnlich. Ihre Strickkleider und Seidentücher verkaufen sich weltweit. "Viel kreatives Potential, das die finanziellen Mittel nicht hatte, in einer anderen Großstadt unterzukommen, ist nach Berlin gezogen", erklärt die 39jährige. Wie lange dieser Hype anhalte, kann die Iranerin allerdings nicht sagen. Berlin ändere sich schließlich täglich.
Sprungbrett Fashion Week
Die Waage zwischen Auftragsarbeiten und eigenen Projekten zu halten, ist die hohe Kunst. Gerade junge Modemacher haben Angst, sich vereinnahmen zu lassen und von großen Konzernen geschluckt zu werden. Für sie geht es darum, ihre Ideen zu verwirklichen und nicht fremd bestimmt zu werden. Dass Deutschland ein schwieriger Standort für Avantgarde-Mode ist, merken alle. Ausländische Trendscouts haben größeres Vertrauen in die Qualität von Fashion made in Germany als heimische Einkäufer. Das könne man auch bei der Fashion Week beobachten, meint Nadine Barth. Bei den Abschlussveranstaltungen gingen die japanischen Agenten gezielt hin und nähmen das entsprechende Gewinnerlabel oder andere Teilnehmer einfach unter Vertrag. "So sind die Kleider schon in Japan zu kaufen, noch bevor die Deutschen kapiert haben, dass es dieses Label überhaupt gibt."
Schwieriges Pflaster für Newcomer
Umsätze sind zum Glück nicht alles. So folgte der deutsche Designer Stephan Schneider dem Ruf der Berliner Universität der Künste, UDK. Obwohl er gleichzeitig eine Professur in Antwerpen angeboten bekam. Er trat vor über zwei Jahren zusammen mit zwei Kolleginnen die Nachfolge der Designerikone Vivienne Westwood an. Jetzt pendelt er zwischen Berlin und Antwerpen. In der belgischen Stadt hat er immer noch seinen Showroom und sein Atelier. Inspiration für seine Arbeit holt er sich jetzt auch in Berlin. Seinen Studenten bringt er Alltagstauglichkeit bei, ein Credo, das er auch bei seiner eigenen Mode hochhält.
Für viele Newcomer ist es allerdings schwer, aus der Masse heraus zu ragen. Eine Erfahrung, die auch Nadine Barth bei der Arbeit an ihrem Buch "Berlin Fashion" machte. "Ich hatte viele Namen auf meiner Liste, einige musste ich wieder streichen, weil es die nicht mehr gab." Auch wenn der Absatz für den heimischen Markt schwierig bleibt und die meisten Berliner Modemacher von den japanischen Einkäufern profitieren, weg aus der Hauptstadt wollen die wenigsten. Auf die Frage, ob es einen Berlin-Style gebe, reagiert die Modejournalistin Nadine Bath mit Kopfschütteln. "Es gibt so viele unterschiedliche Charaktere und viele von ihnen sind sehr nah an der Kunst." Aber einen einheitlichen Stil gebe es auf keinen Fall.
Autorin: Sabine Oelze
Redaktion: Jochen Kürten