Berlin feiert Country
11. Februar 2019Es kommt nicht gerade häufig vor, dass meine fast 20 Jahre alten Cowboy-Boots in Deutschland zum Einsatz kommen. Doch die Gelegenheit, die verstaubten Stiefel zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in der Öffentlichkeit vorzuführen, wollte ich mir nicht entgehen lassen, als ich erfuhr, dass in Berlin - im Vorort Wittenau - eine Art Country Festival stattfindet.
Einmal vor Ort stelle ich schnell fest: Das "Country Music Meeting (CMM)" ist eine sehr ernste Angelegenheit - obwohl es ein bisschen aussieht wie auf einer gut gemachten Kostümparty: Man sieht Cowboy-Hüte - natürlich echte Stetsons, viele Lederjacken mit Fransen dran und auch echte Cowboy-Boots aus den USA. Ich habe mich nicht groß in Schale geworfen, aber mit meinen aufsehenerregenden Stiefeln fühle ich mich halbwegs angemessen angezogen.
Musikalischer Schmelztiegel
Die Besucher des Country-Spektakels kommen aus allen Teilen der Bundesrepublik und sogar aus den Nachbarländern - um Two-Step zu tanzen und lauthals bei Johnny Cash mitzugrölen. So auch Anita Geisendorfer, die extra aus Bayern angereist ist, um hier in Berlin dabei zu sein. "Wir gehen das ganze Jahr hindurch auf mehrere solcher Treffen", erzählt sie enthusiastisch, und man merkt, dass sie ganz in ihrem Element ist. Seit zehn Jahren schon begeistert sie sich für Country und reist auch in andere Bundesländer, um mit Fans zusammen zu kommen. "Es gibt in Deutschland eine Riesenszene", betont sie und zupft die Rüschen an ihrem Kleid zurecht. "Und in Bayern sind wir daran gewöhnt, dass man sich passend zur Musik anzieht. Wir tragen ja auch Dirndl."
In den USA begann der Country ursprünglich im 18. Jahrhundert in den Bergdörfern von Tennessee und Kentucky, wo aus verschiedenen europäischen Musiktraditionen alles in einen musikalischen Schmelztiegel geschmissen wurde. Irische Folklore traf auf schottische Balladen und wurde mit Walzer, Polka und anderen europäischen Rhythmen vermischt. Es wurde gejodelt und auf Waschbrettern musiziert, weil es schlichtweg nichts Besseres gab. Später kamen noch die Einflüsse der afrikanischen Sklaven hinzu.
Im Verlauf der allgemeinen Expansion Richtung Westen im 19. Jahrhundert - sei es wegen des Goldrausches in Kalifornien oder um Tierzucht in der Prärie von Montana zu betreiben - nahmen die Cowboys auch ihre Musik mit. Daraus entstand über Jahrzehnte der Sound, der auch heute noch den Country ausmacht. In den Liedern liegen Hoffnung und Enttäuschung oft nahe bei einander, verpasste Chancen werden stark thematisiert und über allem steht die Frage, ob früher nicht doch alles besser war.
Andere Form der Volksmusik
Auf der Hauptbühne geht es mittlerweile sehr international vor: Die Country-Band "Sentimental Falls" aus Schweden rockt, was das Zeug hält. Das Publikum ist begeistert, einige geben ihre Line Dancing Choreografien zum Besten. Man könnte meinen, bei einem großen Scheunen-Fest im tiefsten Alabama zu sein. Zwar gibt es statt Spare Ribs und Barbecue nur Laugenbrezeln und Currywurst, aber zumindest fließt hier der Jack Daniels in üppigen Mengen.
An einem der Stände außerhalb des Musiksaals vermarktet sich eine weitere Band: "The Forgotten Sons of Ben Cartwright". Mit Cover-Versionen von altbekannten Country Hits versucht die Gruppe aus Niedersachsen ihr Publikum emotional anzusprechen. Im Vordergrund steht dabei der Spaßfaktor, bekräftigt Kay Dee Cartwright, einer der Gründungsmitglieder der Band. "Wir sind eine Country Partyband und spielen Musik, die die Leute mögen, wo die Leute tanzen, wo die Leute feiern." Auf die Frage, was ihn am Country so reizt, sagt Cartwright: "Country Musik ist ja in irgendeiner Form auch eine Volksmusik. Aber die deutsche Volksmusik liegt uns nicht so nahe, da weichen wir gerne nach Amerika aus."
Country in Europa
Marion Freier geht es ähnlich. Sie ist eine der Veranstalterinnen des CMM und eingefleischter Country Fan. Für die 56-Jährige ist Country nicht nur Musik oder in ihrem Fall auch Arbeit, sondern vielmehr ein Lebensgefühl: "Country Musik ist eine der wenigen Musikrichtungen, die man den ganzen Tag lang hören kann, ohne aggressiv zu werden, weil sie eben sehr vielschichtig ist. Man hat rockige Elemente, akustische Sachen, man hat was Flottes und auch was Langsames", schildert Freier und betont, dass der Country auch eine berechtigte Heimat in Europa hat.
"Country Musik ist eigentlich in Europa sehr beliebt. Das wissen nur die wenigsten, weil in den Medien das Thema ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird. Es gibt unheimlich viele Livemusik-Events, Vereine, Tanzclubs oder Line-Dance-Kurse. Und das ist nicht nur in Deutschland so, sondern in ganz Europa, gerade in Skandinavien, Großbritannien und in den Benelux Ländern. Man muss halt nur wissen wo."
In der Heimat des Country war Marion Freier bislang noch nicht. Ein guter Anlass wäre vielleicht das zehnjährige Jubiläum des "Country Music Meetings" im kommenden Jahr. Sie möchte gern nach Nashville im Bundesstaat Tennessee und nach Texas. "Da werde ich ganz neidisch, wenn Sie mir sagen, dass sie in Texas gelebt haben", gesteht sie mir. "Das hatte ich mir aber bei Ihren Stiefeln auch schon gedacht. Die sehen nämlich richtig echt aus."