1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Berlin Mohrenstraße - Abrechnung mit der Kolonialgeschichte

Stuart Braun
29. August 2020

Soll man Straßen umbenennen, weil ihr Name an üble Zeiten erinnert? Ein Berliner Streit zeigt Deutschlands Umgang mit seiner kolonialen Vergangenheit.

https://p.dw.com/p/3hdyW
Aktivisten auf einem Gedenkmarsch in Berlin zur Kolonialvergangenheit Deutschlands
Gedenkmarsch in Berlin zur Kolonialvergangenheit Deutschlands Bild: Imago/IPON

"Entkolonialisierung geschieht nicht durch die Änderung einiger Straßennamen", sagt der Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins. Die Mohrenstraße liegt im Berliner Ortsteil Mitte. Schmucke Gründerzeithäuser säumen noch heute die im Krieg schwer zerstörte Ost-West-Verbindung zwischen Wilhelmstraße und Hausvogteiplatz südlich des Gendarmenmarktes.

Geht es nach der zuständigen Bezirksverordnetenversammlung, soll die Mohrenstraße künftig nach Anton Wilhelm Amo heißen, einem afrodeutschen Philosophen, der 1734 als erster in Afrika geborener Gelehrter in Preußen promoviert wurde.

Aikins ist Mitglied der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" (ISD), die sich seit langem im Bündnis mit anderen Organisationen für die Namensänderung einsetzt. Auch der gleichnamige U-Bahnhof sollte umgetauft werden, verlangt die IDS. "Mohr bedeutet im Griechischen dunkel oder schwarz", erläutert Aikins, der an der Universität Kassel promoviert und zuvor auch in Ghana studiert hat. "Im deutschen Sprachgebrauch aber", sagt er, "bedeutet Mohr dumm oder primitiv."

Straßenschild der Mohrenstraße in Berlin-Mitte
Soll umbenannt werden: die Mohrenstraße in Berlin-MitteBild: Imago/S. Steinach

Afrika - in Berlin aufgeteilt

Es war vermutlich die "Black Lives Matter"-Bewegung, die den Anstoß dazu gab, dass der Bezirksrat von Berlin Mitte (BVV) kürzlich für die Umbenennung der Mohrenstraße stimmte. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) entschieden, die U-Bahn-Haltestelle in "Glinkastraße" umzubenennen, was allerdings am Antisemitismus eines russischen Komponisten mit diesem Namen scheiterte.

Gleichwohl hat die Entscheidung der Bezirksvertretung von 2018, die Straßen im Afrikanischen Viertel Berlins umzubenennen, Symbolcharakter. Sie steht für den langwierigen Kampf gegen einen Rassismus, der auf die lange verdrängte Geschichte des deutschen Kolonialismus verweist. 

Die Mohrenstraße verläuft durch die Altstadt der ehemals preußischen Stadt, ganz in der Nähe des umstrittenen wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses, von wo aus die kolonialen Streifzüge in Afrika einst gesteuert wurden. Sie nähert sich dem ehemaligen Reichskanzlerpalais, wo bei der sogenannten Berliner Konferenz von 1884 die großen europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufzuteilen begannen. Die Konferenz war auch der Startschuss für das Vordringen Deutschlands in Namibia.  

Berlin Audre Lorde (li.) und May Ayim vor Verkaufsständen auf dem Winterfeldplatz
Aktivistinnen für eine afrodeutsche Identität in den 1980er Jahren: Die Dichterin May Ayim (r.) und die US-amerikanische Schriftstellerin Audre LordeBild: Dagmar Schultz

 "Mohren" – das Wort sei offen rassistisch konnotiert, meint der Berliner Historiker Christian Kopp. Es erinnere zugleich an Afrikaner, die im 18. Jahrhundert als Sklaven nach Deutschland gebracht wurden, um als Diener zu arbeiten oder die brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige als Musiker zu unterhalten. "Der zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegebene Straßenname transportiert diese rassistische Erfahrung von Gewalt gegen Schwarze in Berlin bis in die Gegenwart", schreibt Kopp in einem Beitrag für die website der Organisation "Decolonize Berlin-Mitte".

Diese Sklaven seien zumeist aus der brandenburgisch-preußischen Kolonie im heutigen Ghana verschleppt worden, der sogenannten "Brandenburger Goldküste", die von 1682 bis 1720 existierte. 

Laut Joshua Kwesi Aikins wurde auch Anton Wilhelm Amo als Junge in Ghana versklavt und wurde schließlich 1707, im Jahr der Benennung der Mohrenstraße, dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel "geschenkt". Trotz seiner Vertreibung machte er sich seine deutsche Identität zu eigen und vergaß auch sein afrikanisches Erbe nicht. Seine Dissertation in Rechtswissenschaften an der Universität Halle ist verloren gegangen, der Titel lautete: "Die Rechte der Mauren in Europa". 

Deutschland 'decolonizing' Berlin | Renaming Fest
"Umbenennungsfest" auf dem Hausvogteiplatz in BerlinBild: DW/S. Braun

Der lange Weg zur Umbenennung 

Seit 2014 treffen sich jährlich mehrere Gruppen zur Feier eines "Umbenennungsfestes" für die Berliner Mohrenstraße. Erst kürzlich, am Internationalen Tag zur Erinnerung an den transatlantischen Sklavenhandel, fand das siebte Umbenennungsfest auf dem Hausvogteiplatz statt. Es gab verhaltenen Jubel über die beschlossene Namensänderung. Doch verlangten die meisten Rednerinnen und Redner, Berlin weiter zu entkolonialisieren.

Tahir Della, Mitglied der ISD und des Vereins "Decolonizing the City", überreichte dem Bürgermeister von Berlin-Mitte eine Petition mit fast 14.000 Unterschriften - für eine Namensänderung. "Die Umbenennung der Mohrenstraße", so Della, "ist ein großer zivilgesellschaftlicher Erfolg." Dies aber könne erst der Anfang einer umfassenden Auseinandersetzung mit den "kolonialen Verstrickungen Deutschlands und ihren Folgen" sein.

Eine U-Bahn hält an der Station Mohrenstraße
Auch die U-Bahnstation trägt noch den Namen MohrenstraßeBild: picture-alliance/Bildagentur-online/Schoening

"Weiße" Wiedervereinigung

Die dazugehörige U-Bahnstation hieß übrigens nicht immer Mohrenstraße: In der DDR-Zeit bis zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1991 war sie nach dem DDR-Politiker Otto Grotewohl benannt. Nach der Wende wurde die U-Bahn-Station dann in Mohrenstraße umbenannt, da sie direkt an der Mohrenstraße lag. Schon damals kritisierte die afrodeutsche May Ayim, eine Dichterin ghanaischer Abstammung, die 1986 die ISD mitbegründete und das Buch "Showing our Colors" ("Farbe bekennen", deutsch 1992, Fischer) herausgab, vehement die Verwendung eines rassistischen Namens: Das zeige, so Ayim, dass die schwarze Community nicht in den - vorrangig weißen - Wiedervereinigungsprozess einbezogen worden sei.

(sd)

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.