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Roma Deutschland

6. Oktober 2010

In der deutschen Hauptstadt leben zahlreiche Roma-Familien. Seit einigen Monaten kümmern sich erstmals zwei Streetworkerinnen um sie. Wie sind die ersten Erfahrungen mit dem vom Land Berlin finanzierten Pilotprojekt?

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Drei junge Roma-Frauen in Berlin (Foto: DW)
Junge Roma-Frauen in BerlinBild: Svenja Pelzel

Cristina Nastase steht um acht Uhr morgens im schmutzigen Hof eines grauen, heruntergekommenen Hauses im Berliner Stadtteil Tiergarten. Leise ruft sie zwei Namen in Richtung eines geöffneten Fensters im ersten Stock. Die bunte Wäsche auf den kreuz und quer gespannten Leinen hinter dem Fenster lässt erahnen, dass hier viele Menschen wohnen. Es sind Roma, die mit einem Touristenvisum eingereist sind und nun hierbleiben wollen.

Cristina Nastase und Roma-Frauen in Berlin (Foto: DW)
Cristina Nastase (links) und Roma-Frauen in BerlinBild: Svenja Pelzel

Auch Cristina Nastase stammt aus Rumänien, sie sieht mit ihren dunklen Locken, der zierlichen Figur und dem markanten Gesicht typisch südländisch aus. Die 32-jährige Sozialpädagogin arbeitet seit kurzem als Streetworkerin für Roma und Wanderarbeiter beim Verein "Südost Europa Kultur e.V." Sie wartet kurz, bis der zweijährige David und seine Mutter Angela aus dem Haus kommen, begrüßt beide herzlich und geht mit ihnen zu Fuß zum Kindergarten. Vor ein paar Tagen hat sie dort einen Platz für David gefunden.

Das ist für Mutter und Sohn eine ganz neue Erfahrung. Denn bislang sind beide meist gemeinsam zum Betteln auf die Straße gegangen. "Der Kindergartenplatz ist absolut wichtig", findet Cristina Nastase, "nur so hat David eine Chance auf eine unbeschwerte Kindheit und kann Deutsch lernen".

Kindergarten statt Straße

Während der 20 Minuten Fußweg zum Kindergarten tröstet Cristina immer wieder den quengelnden David im Kinderwagen, hört sich die Geldsorgen der Mutter an, spricht mit ihr über den neuen Job. Sie hat erreicht, dass Angela ein paar Stunden im Kindergarten putzen und aushelfen kann. Für die Alleinerziehende ist das eine Gelegenheit, ohne Betteln Geld zu verdienen und ein paar Worte Deutsch zu lernen.

Im Kindergarten angekommen läuft David sofort auf die anderen Kinder zu. Seine Mutter und die Streetworkerin sitzen am Rand des großen Spielzimmers und schauen zu. Cristina ist sichtlich bewegt, mit welcher Freude David herumhüpft, kämpft sogar kurz mit aufsteigenden Tränen: "Ich treffe so oft auf der Straße Familien mit Kindern, da bewegt es mich, wenn eines eine Chance bekommt, seine Kindheit zu genießen."

Alltag lernen

Bettelnde Roma-Frau mit Kind sitzt auf Fußweg (Foto: dpa)
Kinder sollen vor dem Leben auf der Straße bewahrt werdenBild: picture-alliance/dpa

In der Regel scheitern Roma-Familien ohne Hilfe am hiesigen Behördendschungel. Viele sind Analphabeten und sprechen kaum Deutsch. Sie können zum Beispiel keinen Antrag auf Einschulung ihrer Kinder ausfüllen, keinen ordentlichen Mietvertrag und keine Krankenversicherung abschließen - ohne die dürfen auch EU-Bürger sich in Deutschland nicht niederlassen, ein Teufelskreis.

Viele stranden samt ihrer Kinder als Scheibenputzer und Bettler auf den Straßen, leben wie Angela und David in heruntergekommenen Wohnungen, die sie zu Wucherpreisen teilweise illegal überlassen bekommen.

Erzieherin Barbara Thorm hat David nur unter der Bedingung in den Kinderladen aufgenommen, dass Cristina Mutter und Sohn die erste Woche begleitet, dolmetscht und zum Beispiel auch erklärt, wie wichtig es ist, morgens pünktlich da zu sein. "Dass das oft so schief läuft, liegt nicht an den Menschen, sondern an den fehlenden Konzepten für den Umgang miteinander", findet Thorm.

"Die Leute öffnen sich gleich"

Während David und seine Mutter den restlichen Tag im Kindergarten verbringen, fährt Cristina zum Berliner Dom. Sie weiß: Auf dem großen Platz vor der Kirche sind immer besonders viele Touristen und deshalb auch besonders viele rumänische Bettlerinnen unterwegs. Cristina spricht eine Roma an, die ein Kleinkind auf dem Arm trägt, fragt, ob sie Hilfe brauche.

Während die beiden sich unterhalten, kommen immer mehr Frauen und Kinder, stellen sich dazu, suchen ebenfalls Rat und Unterstützung bei der Streetworkerin. "Die Leute öffnen sich gleich", freut sich Nastase, "da braucht es keine große Kunst, außer menschlich zu sein und Interesse zu zeigen." Heute möchten die jungen Frauen unbedingt, dass Cristina ein Foto von ihnen macht, damit sie die Bilder nach Rumänien schicken können. Auch das gehört manchmal zu ihrer Arbeit. Die nächste Viertelstunde amüsieren sich die jungen Frauen, lachen, haben gemeinsam Spaß beim Fotoshooting.

Selten kann Cristina die Bitten, die sie auf der Straße hört, nach Geld, Arbeit und Wohnung, erfüllen. Dafür fehlen ihr die Mittel und vor allem die Zeit. Ende des Jahres läuft das Projekt für die beiden Streetworkerinnen aus. Wie es danach weiter geht, kann Cristina im Moment noch nicht sagen. Sie hofft auf eine Verlängerung.

Autorin: Svenja Pelzel
Redaktion: Kay-Alexander Scholz