Reich und sexy
25. November 2013Stolz präsentierte die SPD/CDU-Regierung Mitte November die erfreulichen Zahlen: Berlins Haushalt für die kommenden beiden Jahre ist ausgeglichen, Schulden sind Vergangenheit. "Berlin hat seine Hausaufgaben gemacht", betont Richard Meng, Sprecher des Berliner Senats. Die Politik habe gut gewirtschaftet, die richtigen Akzente gesetzt.
Manch einer reibt sich erstaunt die Augen: Denn als cool und dynamisch gilt Berlin zwar schon lange - aber auch als finanziell nicht gerade solide. Und das nicht erst seit dem Fiasko beim Flughafenbau, der sich unendlich in die Länge zieht und immer teurer wird. Berlin ist seit vielen Jahren finanziell von reicheren Bundesländern abhängig. Noch im ersten Halbjahr 2013 mussten Bayern, Hessen und Baden-Württemberg der Hauptstadt fast zwei Milliarden Euro überweisen - im Rahmen des Länderfinanzausgleichs, der dafür sorgen soll, dass sich die Bundesländer nicht zu weit auseinanderentwickeln.
Berlin als Magnet für Abenteurer und Kreative
Doch neuerdings sprudeln in Berlin die Steuereinnahmen. Wenn die Schätzungen zutreffen, könnte die Stadt im kommenden Jahr sogar 400 Millionen Euro mehr einnehmen, als sie ausgibt. Ein Grund des Erfolgs: der boomende Tourismus.
Das macht ihn mittlerweile zum zweitgrößten Wirtschaftszweig in der Stadt. 25 Millionen Übernachtungen pro Jahr, diese beeindruckende Zahl nennt Senatssprecher Richard Meng: "Da sind wir in Europa hinter Paris und London an dritter Stelle. Und das bringt natürlich Jobs und Geld in die Stadt."
Viele kommen nicht nur zu Besuch nach Berlin - sie bleiben, um dort zu leben. Die Hauptstadt wächst jedes Jahr um knapp 30.000 Einwohner - und das, obwohl die Bevölkerung in Deutschland insgesamt nicht zunimmt. Diesen Trend verzeichnen allerdings auch andere deutsche Metropolen. Meng ist dennoch überzeugt, dass seine Stadt eine besondere Anziehungskraft hat: "Die Neugier auf Berlin ist wahnsinnig groß, vor allem bei jüngeren Leuten", sagte er im DW-Gespräch. "Die Stadt hat einen großen Magnetismus für Menschen, die etwas Besonderes erleben wollen. Die kreativ sein, etwas entwickeln wollen."
Das gilt nicht nur für wagemutige Abenteurer. In den vergangenen Jahren haben immer mehr große Unternehmen und Organisationen ihren Firmensitz nach Berlin verlagert: Jetzt residiert unter anderem der Software-Konzern Microsoft auf vier Etagen und rund 3000 Quadratmetern unter der noblen Adresse "Unter den Linden 17" im Zentrum der Stadt.
Stadt der Gründer
Noch ein Grund für den plötzlichen Geldsegen: Überall in der Hauptstadt sind in den vergangenen Jahren zahllose kleine Internet- und Medienfirmen gegründet worden. "Berlin spielt auch international eine große Rolle, gerade, was die Internetszene betrifft", bestätigte Michael Bahrke vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW). "In diesem Bereich sind inzwischen Rahmenbedingungen vorhanden, die in Deutschland, aber auch weltweit ihresgleichen suchen."
Über vier Prozent der Wertschöpfung in Berlin stammen mittlerweile aus dem IT- und Internetbereich - eine der großen Zukunftsbranchen. Und dann sind da die unzähligen Clubs, Bars und kleinen Designerläden, die in Trendbezirken wie Friedrichshain oder Neukölln fast täglich neu eröffnet werden.
Ein wahrer Gründungsboom, der sich auch in den Zahlen spiegelt: Die Wirtschaftsleistung Berlins ist seit 2005 um 17 Prozent gewachsen - mehr sogar als in traditionell wirtschaftlich starken Bundesländern wie Bayern. Das schafft Arbeitsplätze: In diesem Zeitraum sind 17 Prozent neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden - mehr als in jedem anderen Bundesland. Und auch die Löhne steigen kräftig. Nicht überraschend, meint der Ökonom Michael Bahrke: Die Stadt schöpfe damit ein Potenzial aus, das schon seit Jahren vorhanden sei. "Berlin erreicht damit wirtschaftlich gesehen einen Status, der ihm schon länger zustehen würde."
Die Kehrseite des Booms
Doch all diese positiven Zahlen haben auch negative Folgen: dramatisch steigende Mieten zum Beispiel. Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren enorm in die Höhe geschossen - und locken immer mehr Spekulanten an. "Je besser es der Stadt geht, desto mehr wird es die Debatte geben: Wer kommt hierher?", befürchtet Senatssprecher Meng. "Dann kommen Leute mit Geld, und andere fühlen sich bedroht, die schon lange hier leben und nicht so viel Geld haben."
Schon jetzt werden in den Trend-Vierteln die einheimischen Bewohner verdrängt - von zahlungskräftigen Neu-Berlinern, aber auch, weil überall Ferienwohnungen und Hotels entstehen. Die Regierung sei sich bewusst, dass sich die Politik nun, da mehr Geld da ist, neuen Aufgaben widmen müsse, meint Richard Meng - zum Beispiel dem Wohnungsbau: "Es gibt viele Bereiche, wo wachsende Bevölkerungszahlen neue Probleme bringen: Stichwort Kindergartenplätze und Schulen. Und da muss die Politik natürlich reagieren."
Auch der Wirtschaftswissenschaftler Michael Bahrke warnt, dass die positive Entwicklung nur einem Teil der Stadt zugutekommt. Es bestehe die Gefahr, dass die soziale Spaltung in Berlin zunehme: Eine wachsende Zahl von Wohlhabenden im Zentrum, immer mehr Geringverdiener und Arbeitslose in Problemvierteln am Rand der Stadt - die dann immer mehr verwahrlosen. Die Politik müsse nun dafür sorgen, so Bahrke, dass alle Berliner vom Erfolg ihrer Stadt profitieren.