Berlinale-Gründer Alfred Bauer war hoher NS-Funktionär
1. Oktober 2020Dass Alfred Bauer, der Gründer und langjährige Chef der Berlinale, seine NS-Vergangenheit verschleiert haben soll, war Anfang des Jahres durch einen Medienbericht bekannt geworden. Nun bestätigt eine von den Internationalen Filmfestspielen Berlin selbst in Auftrag gegebene Studie die frühere Veröffentlichung.
Die Untersuchung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) kommt zu dem Schluss, dass Alfred Bauer durch seine Tätigkeit bei der Reichsfilmintendanz dazu beigetragen hat, dass das deutsche Filmwesen während der NS-Zeit funktionierte. Bauer habe im Bereich Produktionsplanung eine zentrale Rolle gespielt.
Alfred Bauer verharmloste seine Funktion in der NS-Zeit
Außerdem soll Bauer, der die Berlinale ab 1951 leitete, nach 1945 seine Stellung in der NS-Filmindustrie heruntergespielt haben. 1950 hatte er dem Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, den alliierten Stadtkommandanten sowie dem Verband der Berliner Filmwirtschaft vorgeschlagen, ein Filminstitut samt Filmfestival zu gründen. Bereits im Juni 1951 startete es unter dem Namen Berlinale - Alfred Bauer wurde ihr erster Leiter und blieb es für 25 Jahre.
Heute ist die Berlinale Deutschlands wichtigstes Filmfestival. Neben den Veranstaltungen von Cannes und Venedig gilt sie international als eines der bedeutendsten Kino-Festivals. Bis 2019 wurde auf der Berlinale jährlich ein nach ihrem Gründer benannter Preis für Regisseurinnen und Regisseure vergeben: Der Alfred-Bauer-Preis (Silberner Bär). 2021 soll daraus der "Silberne Bär - Preis der Jury" werden. In diesem Jahr war die Vergabe ausgesetzt worden.
Angestoßen durch Medienbericht: Aufklärung des "Falls Bauer"
Der Tag, als Carlo Chatrian, neuer künstlerischer Leiterin der Berlinale, das Wettbewerbsprogramm 2020 vorstellen wollte, wurde von dem Medienbericht zum Fall Bauer überschattet. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hatte am 30. Januar 2020 Rechercheergebnisse veröffentlicht, wonach Bauer in den Jahren von 1942 bis zum Kriegsende ein hochrangiger Nazi-Funktionär gewesen sein soll. Bereits dieser Bericht legte nahe, dass Bauer nach Ende des Zweiten Weltkriegs seine Vergangenheit verschwiegen und umgedeutet haben soll. Bauers Nazi-Vergangenheit war zwar nicht gänzlich unbekannt, doch erst durch die Berichterstattung vom Januar wurde deutlich, dass er im Filmwesen an mitentscheidender Stelle saß.
Der Fall Bauer kam damit rund drei Wochen vor Beginn der 70. Ausgabe der Berlinale (20. Februar bis 1. März 2020) ans Licht. Der filminteressierte Privatgelehrte Ulrich Hähnel, eigentlich Diplom-Betriebswirt, war während einer Recherche im Bundesarchiv in Koblenz, die eigentlich einem anderen Thema galt, zufällig auf Dokumente gestoßen, die auch belegen, dass Bauer seine NS-Vergangenheit im Nachhinein verschleiert haben soll. Seine Erkenntnisse teilte Hähnel mit der "Zeit".
Berlinale-Leitung bestürzt über die bestätigten Erkenntnisse
Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek, die gemeinsam mit Carlo Chatrian seit diesem Jahr die Festspiele leitet, teilte ihr Bestürzen über die durch die IfZ-Studie gestützten Erkenntnisse im Fall Bauer mit. Sie sagte: "Durch die neuen Kenntnisse verändert sich auch der Blick auf die Gründungsjahre der Berlinale."
Die Führungsspitze des Festivals hatte sich noch im Frühjahr laut einem vom Berliner Rundfunksender rbb zitierten Bericht entschieden, eine Untersuchung des Falls Bauer zu beauftragen. Demnach sagte Rissenbeek damals: "Wir sind überzeugt, dass zur Erforschung von Alfred Bauers Position im NS-Machtapparat eine externe und unabhängige Historiker*innengruppe herangezogen werden sollte."
Langjähriger Berlinale-Chef war ab 1937 NSDAP-Mitglied
Für die beim IfZ beauftragte Studie, deren Erkenntnisse jetzt vorliegen, war der Historiker Thomas Hof verantwortlich. Für die Studie hatte er Untersuchungen zur Geschichte des NS-Films ausgewertet und dazu im Bundesarchiv und der Deutschen Kinemathek und sogar in der US-Hauptstadt Washington recherchiert. Ihm habe sich so erschlossen, dass Bauer als Referent der Reichsfilmintendanz von 1942-1945 über die gesamte deutsche Filmindustrie bestens informiert gewesen sei, teilte das IfZ mit.
Bauers Einrichtung war vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, als zentrale Institution zur Steuerung der Filmproduktion geschaffen worden. Der Reichsfilmintendant, dem Bauer als Referent zugeordnet war, stand in direktem Austausch mit Goebbels. Der Rolle der Intendanz, das ließen die Dokumente erkennen, sei sich Bauer dabei durchaus bewusst gewesen. Nach Angaben von Hof hatte sich der Jurist Bauer bereits ab 1933 verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen angeschlossen. 1937 war er Mitglied der NSDAP geworden.
Studienautor wirft Alfred Bauer "Dreistigkeit und Penetranz" vor
Nach dem Krieg habe Bauer in seinem Entnazifizierungsverfahren von 1945-1947 sein Engagement im NS-Regime durch Falschaussagen, Halbwahrheiten und Behauptungen verschleiert. Ja, er habe gar versucht, sich im Chaos der Berliner Nachkriegsverhältnisse das Image eines NS-Gegners zu geben. Historiker Hof wirft dem Gründer der Berlinale deshalb "Dreistigkeit und Penetranz" vor.