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Beschneidungen erlaubt

Kay-Alexander Scholz10. Oktober 2012

Die Bundesregierung will mit einer Gesetzesnovelle die Rechtssicherheit bei der religiös motivierten Beschneidung von Jungen wieder herstellen. Damit sollen auch viele aufgebrachte Gemüter beruhigt werden.

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Symbolbild Beschneidung (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nach fünf Monaten kontrovers geführter Diskussionen verkündete die Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in Berlin, dass die Beschneidung von Jungen in Deutschland auch weiterhin straffrei bleiben wird. Anfang Mai hatte das Kölner Landgericht die religiös motivierte Entfernung der Vorhaut als rechtswidrige Körperverletzung eingestuft und damit eine Welle der Empörung bei Juden und Muslimen ausgelöst.

Bundesregierung will Rechtssicherheit

Das entsprechende Gesetz soll nun mit einer Gesetzesnovelle korrigiert werden, die am Mittwoch (10.10.2012) vom Bundeskabinett beschlossen wurde. "Jetzt können die parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs zügig aufgenommen werden", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Die Abstimmung über das Gesetz im Kabinett sei reibungslos verlaufen.

Das Ausland habe die Beschneidungsdebatte sehr genau beobachtet, sagte die Bundesjustizministerin weiter. Mit dem Entwurf würde klargestellt, "dass wir in Deutschland die Ausübung der Religion wollen" und die seit Jahrzehnten unstrittige Rechtssicherheit dafür auch weiterhin bestehen bleibe. Deshalb sei heute "ein guter Tag".

Beschneidung unter Auflagen

Laut Gesetz habe die Beschneidung "nach allen Regeln der ärztlichen Kunst so schmerzfrei und Schmerz vermeidend wie möglich" zu erfolgen, erklärte die Bundesjustizministerin. Der Eingriff wird verboten, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Zudem müssen sich die Eltern vor dem Eingriff über die Risiken aufklären lassen. Die Beschneidung dürfen dafür vorgesehene Personen in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes vornehmen. Das meint auch Nicht-Ärzte wie jüdische Mohels, also Beschneidungsfachmänner. Die Bundesjustizministerin verwies auf den im Grundgesetz geregelten Vorrang des elterlichen Sorgerechts: Eltern dürften deshalb ihre Kinder "grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen" erziehen und ihnen religiöse Überzeugungen vermitteln.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Foto: dpa)
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerBild: picture-alliance/dpa

Wenn sich aber beispielsweise ein Sechsjähriger vehement gegen den Eingriff sperrt, dürfen Eltern das nicht ignorieren, sondern müssen sich damit auseinandersetzen. Der erklärte Widerwille eines Jungen könnte laut Entwurf ebenfalls ein Indiz dafür sein, dass das Kindeswohl gefährdet sei - und damit eine Beschneidung ausschließen.

"Rechtliche und emotionale Sicherheit geschaffen"

Der Zentralrat der Juden in Deutschland zeigte sich zufrieden über den Gesetzentwurf und erleichtert über den Ausgang der seit Monaten geführten Beschneidungsdebatte. "Die Debatte ist ein Toleranztest für die Gesellschaft, wir werden ihn bestehen, aber nicht glanzvoll", sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann. Denn mitunter hätte die öffentliche Diskussion "sehr feindlich gesinnte Töne hervorgebracht, die rational nicht mehr zu erklären waren". Die Debatte sei nirgendwo sonst auf der Welt mit einer solchen "Schärfe, Kälte und zuweilen brutalen Intoleranz" geführt worden. Der Gesetzentwurf sei "ausgesprochen lebensklug, ausgewogen und fair" und ein politisches Signal, dass Juden und Muslime weiterhin in Deutschland willkommen seien. "Wir sind froh, dass jüdische Gebote und damit jüdisches Leben nicht in die Illegalität gedrängt werden." Die rechtliche Sicherheit gebe den betroffenen Menschen nun auch eine emotionale Sicherheit, so Graumann.

Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann (Foto: dapd)
Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter GraumannBild: dapd

Die Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, Charlotte Knobloch, wertet die rasche Entscheidung des Bundeskabinetts über ein Beschneidungsgesetz als "wichtigen und richtigen Schritt". Sie hoffe nun, "dass dieses Thema endlich aus der öffentlichen Diskussion verschwindet".

"Völlig richtige Richtung"

Der Zentralrat der Muslime forderte Nachbesserungen. Dessen Vorsitzender, Aiman Mazyek, stellte den Begriff des "Kindeswohlvorbehalts" infrage. Dieser Punkt sollte noch diskutiert werden. Insgesamt gehe der Gesetzentwurf aber in die "völlig richtige Richtung", sagte Mazyek. Damit werde das "unmissverständliche Signal von Deutschland" ausgehen, dass Juden und Muslime nicht kriminalisiert würden.

Generalsekretär des Zentralrat der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek (Foto: dpa)
Generalsekretär des Zentralrat der Muslime in Deutschland, Aiman MazyekBild: picture-alliance/dpa

Fundamentale Kritik am Gesetzentwurf kam bereits im Vorfeld der Kabinettsentscheidung von der Deutschen Kinderhilfe. "Es ist ein Irrglaube, mit Zäpfchen oder einer Salbe diese erheblichen Schmerzen und ihre Auswirkungen auf das Schmerzempfinden im späteren Leben lindern zu können", kritisierte der Vorstandsvorsitzende Georg Ehrmann. Die Deutsche Kinderhilfe lehne Beschneidungen im Säuglingsalter ebenso wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte als unzumutbare Körperverletzung ab, betonte Ehrmann. Er appellierte an den Bundestag, das Gesetz nicht im Eilverfahren durchzuwinken, sondern an einem Runden Tisch zu diskutieren.

Deutschland wird keine Ausnahme

Im Judentum ist die Beschneidung männlicher Säuglinge am achten Lebenstag ein bindendes Gebot von höchster Bedeutung und vergleichbar der christlichen Taufe. Die Grundlage findet sich in der Tora, der Heiligen Schrift der Juden, in der Gott die Beschneidung als symbolisches Zeichen des Bundes zwischen ihm und dem jüdischen Volk fordert. Im Islam gilt die Beschneidung bei Sunniten und Schiiten als Pflicht und gehört zur Glaubensüberzeugung der Muslime. Der Zeitpunkt der Beschneidung variiert vom siebten Lebenstag bis zum Eintritt der Pubertät.

Weltweit ist laut Bundesregierung kein Staat bekannt, der religiöse Beschneidung von Jungen verbietet. Schweden ist demnach das einzige Land, das seit 2001 die Voraussetzungen für Beschneidungen rechtlich geregelt hat.