Das Spukschloss an der Spree
13. August 2013Das herrschaftliche Zimmer sieht aus, als seien die Vandalen eingefallen. Tatsächlich hatte auch dieser Teil des Berliner Schlosses das Pech, zum Schauplatz der Kämpfe zwischen revolutionären Marine-Soldaten und regulären Armee-Einheiten zu werden. Es ist der 24. Dezember 1918, Höhepunkt der Kämpfe in Berlin, an deren Ende die Revolutionäre schließlich die Oberhand behalten und das einstige Domizil des geflüchteten Kaiser Wilhelm II. erheblichen Schaden erleidet. Sein Schloss ist nun ohne Schutz – auch weil die Revolutionäre jetzt keine Angst mehr vor Gespenstern haben.
Nur wenige Wochen zuvor scheint das noch ganz anders zu sein. Am 9. November 1918 ruft Karl Liebknecht vom Balkon des Schlosses die sozialistische Republik aus. Dafür sind er und seine revolutionären Matrosen in die prunkvollen Gemächer vorgedrungen. Jetzt ist Liebknecht vom revolutionären Tagewerk redlich geschafft und zieht sich müde in das kaiserliche Schlafzimmer zurück. Die Matrosen halten die Luft an, denn ihr oberster Revolutionär im kaiserlichen Bett – das erscheint ihnen doch geradezu unheimlich.
Ein amerikanischer Zeitungsreporter erlebt die Spannung unmittelbar mit. Er sieht, wie Liebknecht sich gemächlich bis auf die lange Winterunterwäsche entkleidet („das ausgebeulte Gesäßteil war vom vielen Waschen abgenutzt“), sich seine prallvolle Aktentasche und vier schwergewichtige Bücher greift und dem kaiserlichen Bett nähert. „Die Matrosen waren wie erstarrt“, notiert der Reporter. Liebknecht schlüpft zwischen die Laken. Die kaiserlichen Sprungfedern quietschen, als der oberste Sozialist sich ausstreckt. Als er sich dreht, um nach einem Buch zu greifen, gibt es plötzlich ein krachendes Geräusch: Der zierliche Nachtisch ist unter der Last der revolutionären Literatur zusammengebrochen, die Nachttischlampe heruntergefallen und die Glühbirne explodiert. Der Schreck ist riesig – und die wohl 100 Männer der Revolutionsgarde fliehen aus Angst vor Geistern!
Nun ja, mit dem Sozialismus auf deutschem Boden ist es bekanntlich nie so richtig was geworden. Und wenn man etwas aus dieser Geschichte lernen kann, dann dies: Wer das Berliner Schloss wieder aufbaut, sollte vielleicht auch ein Plätzchen für ein Schlossgespenst einplanen …