Birmingham - Hort des Islamismus?
23. März 2017Die Hagley Road ist eine Hauptverkehrsachse von Birmingham, die von Westen Richtung Zentrum führt. Gegen 23 Uhr am Abend nach den Terrorangriff in Londoner Parlamentsviertel Westminster stürmten bewaffnete Polizisten dort eine Wohnung (Artikelbild) und nahmen drei Männer fest. Es war eine von sechs Razzien in London und Birmingham, nachdem ein mutmaßlich islamistischer Täter am Nachmittag in der britischen Hauptstadt vier Menschen getötet und rund 40 verletzt hatte.
Birmingham liegt rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Die zweitgrößte Stadt des Landes hat es schon häufig aus zweifelhaften Gründen in die Schlagzeilen geschafft: Im September 2015 etwa löste der amerikanische Sender Fox News eine Welle der Empörung aus, als er Birmingham zu einer No-Go-Area für Nicht-Muslime erklärte.
Schon oft mussten sich die Einwohner Birminghams gegen derlei Vorwürfe wehren: "Jedes Mal, wenn ich von einem Terrorakt höre, denke ich: Hoffentlich ist es kein Muslim, hoffentlich ist es kein Pakistani, hoffentlich kommt er nicht aus Birmingham", sagt Farhan aus dem Stadtteil Small Heath. "Wir haben alle Angst vor den Reaktionen."
Die Nacht nach dem Anschlag von Westminster weckt Erinnerungen an 2005: Zwei Wochen nach dem 7. Juli, als vier Attentäter binnen einer Stunde Bomben in mehreren Londoner U-Bahnzügen und Bussen zündeten, wurde einer der Terroristen in seinem Versteck in Small Heath festgenommen. 2014 löste der Vorwurf, muslimische Rektoren staatlicher Schulen - unter anderem in Birmingham - wollten die Lehrpläne an der muslimischen Lehre ausrichten, einen landesweiten Skandal aus.
Tiefe Spaltung
Birmingham ist eine Stadt mit einer großen Bandbreite ethnischer und religiöser Gruppen. Zwischen diesen Gruppen verlaufen tiefe Gräben. Einer davon liegt nicht weit entfernt vom kürzlich modernisierten Stadtzentrum mit neuen Verwaltungsgebäuden und Shopping Malls. Läuft man die Alum Rock Road hinunter weichen die Hochglanzgeschäfte westlicher Modemarken schon bald arabischen Buchhandlungen, pakistanischen Gemüseläden und Halal-Metzgern. So belebt und geschäftig diese Wohngebiete in der Innenstadt sind, zeigen sie klare Anzeichen wirtschaftlichen Mangels.
Bei der Volkszählung 2011 bezeichneten sich 21,8 Prozent der Einwohner Birminghams als Muslime. Ihr Anteil ist mit jeder Erhebung gestiegen und liegt deutlich über dem nationalen Schnitt von 4,8 Prozent.
13,5 Prozent der Einwohner Birminghams stammen aus Pakistan, viele von ihnen aus den beiden Regionen Asad Jammu und Kaschmir sowie Nord-Punjab. Während andere ethnische Gruppen sich auf verschiedene Gebiete der Stadt verteilt haben, leben sie mehrheitlich in ärmlichen Innenstadtbezirken wie Sparkbrook und Small Heath, zusammen mit Menschen aus Somalia, dem Kosovo und dem Nahen Osten.
Die erste größere Einwanderungswelle Pakistanis siedelten sich in Birmingham an, als es ein industrielles Zentrum war. Doch mit der De-Industrialisierung verloren sie, wie viele andere auch, ihre Arbeit. Der wirtschaftliche Wiederaufschwung durch eine Expansion im Dienstleistungs- und Handelssektor ist weitgehend an ihnen vorbei gegangen: Die Arbeitslosigkeit ist unter Muslimen in Birmingham dreimal so hoch wie unter Nicht-Muslimen.
Fruchtbarer Boden
Die Kombination aus Armut und religiösem Konservatismus gilt als fruchtbarer Boden für Extremismus. Und mehrere extremistische Gruppen versuchen hier, Anhänger zu rekrutieren - wie wohl auch der nun inhaftierte Anjem Choudary's Al Muhajiroun.
Eltern in diesen Gegenden äußern ihre Angst vor der Doppelbedrohung durch Islamisten und kriminelle Banden. Hinzu kommt die Frustration, als verdächtige Gruppe zu gelten, obwohl die meisten Muslime in Birmingham friedlich sind und die Gesetze achten.
"Es gibt einen großen Unterschied zwischen religiösem Konservatismus und Extremismus", sagt Shabana Mahmood, die für den Bezirk Ladywood im Londoner Parlament sitzt. "Politiker suchen eine einfache Formel, um potenzielle Extremisten zu erkennen und etwas dagegen zu tun. Das ist beängstigend. Man beurteilt die individuelle Beziehung einer Person zu Gott. Das hat nichts mit einer politischen Ideologie zu tun."
2010 installierte die Polizei in den Stadtteilen Sparkbrook und Washwood Heath für umgerechnet 3,5 Millionen Euro Überwachungskameras - finanziert aus dem Antiterror-Budget der Regierung. Die Kritiker sahen das als pauschale Verdächtigung, und nach lang anhaltenden Protesten wurden die Kameras 2011 wieder abgenommen.
"Im ganzen Land werden Muslime als eine verdächtige Gemeinschaft charakterisiert", sagt der Kriminologe Imran Awan von der Birmingham City University: "Deshalb macht alles, was mit Terrorabwehr zu tun hat, die Menschen aus diesen Gegenden sehr nervös."
Die Fakten rund um den Anschlag von Westminster treten nun nach und nach zu Tage. Bisher hat die Polizei bekanntgegeben, dass der Täter in Großbritannien geboren und dem Inlandsgeheimdienst MI5 bekannt war. Das Auto, mit dem er mehr als 40 Passanten an- und überfahren hat, wurde in Birmingham gemietet. Nun wartet die Stadt gemeinsam mit dem Vereinten Königreich auf weitere Informationen.