Suche nach dem Unwort des Jahres
13. Dezember 2009Seit jeder schreiben kann wie er will – die neuen Rechtschreiberegeln machen es möglich – , verkommt die deutsche Schriftsprache zusehends, führt sie sich doch durch unlogische, ja aberwitzige Schreibweisen vieler Wörter selbst ad absurdum. Dem gesprochenen Deutsch geht es da kaum besser. Grässliche Wortungetüme werden gebildet, die oft etwas ganz anderes ausdrücken, als sie auf den ersten Blick meinen. Seit vielen Jahren werden derartige Wörter an den Pranger gestellt: als das Unwort des Jahres. Vergessen wird dabei oft, dass auch sogenannte Unwörter aus einer lebendigen Sprachkultur heraus entstehen.
Das Unwort entsteht
Keimzelle für das Unwort des Jahres ist die Gesellschaft für deutsche Sprache, die GfdS mit Sitz in Wiesbaden. Sie hat es sich als Verein unabhängig von der Politik zur Aufgabe gemacht, die deutsche Sprache zu pflegen, aber auch zu beobachten und aktuelle Strömungen kritisch zu hinterfragen und zu bewerten. Dabei muss die GfdS durchaus Kritik einstecken, halten viele den Verein doch für viel zu konservativ, um ernsthafte Empfehlungen für ein modernes Deutsch geben zu können, dass sich vor multikulturellem Hintergrund in alle Richtungen entwickelt.
Goethe sprach aber anders...
Dass modernes Deutsch heutzutage anders klingt als Goethes Dichtkunst anno dazumal, das weiß man auch bei der GfdS. Jedermann kann sich ratsuchend an den Verein wenden, um sprachbezogene Fragen (Rechtschreibung, Grammatik, Stil) klären zu lassen. Sicher eine nützliche Idee. Trotzdem wurde der Einfall, seit 1991 alljährlich ein Unwort des Jahres zu wählen, von Anfang an als oberlehrerhaft und rückwärtsgewandt bewertet. Sprache entwickelt sich eben, meinen die Kritiker, ein modernes Deutsch muss auch mal ein Sprachungetüm vertragen, ohne dass das Wort gleich als "Unwort“ verteufelt wird. Motto: Unwörter gibt es ebenso wenig, wie es Unkräuter, Untiere oder Unmenschen gibt – es gibt nur Kräuter, Tiere, Menschen und eben Wörter.
Streit und Neuanfang – jetzt haun wir richtig drauf
1994 kam es zu einem handfesten Streit zwischen der Jury für das Unwort des Jahres und dem Vorstand der Gesellschaft für deutsche Sprache – es ging dabei um Kompetenzen und inhaltliche Auslegungen. Man trennte sich mit viel Theaterdonner, die Jury machte sich selbstständig und kürt seitdem an der Universität Frankfurt am Main als Gremium der "Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“ alljährlich im Januar das zweifelhafte Siegerwort. Und zimperlich ist man bei der Wahl nicht gerade.
Rentnerschwemme, Gotteskrieger und die Überfremdung
Unwörter sind per Definition der Jury "Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen“. Das klingt akademisch spitzfindig formuliert, aber geht es nicht an der zeitgemäßen Entwicklung einer modernen Sprache völlig vorbei? Es ist doch der Volksmund, der neue Wörter bildet und damit Begrifflichkeiten findet für etwas, was vorgeht im Lande, was gerade gefühlt wird und treffend benannt werden möchte. Mancher fragt zu Recht, was an anschaulichen "Unwörtern“ wie "Rentnerschwemme“, "Gotteskrieger“ oder "Überfremdung“ so anstößig sein soll. Es sind Wörter, die vielleicht nicht immer politisch korrekt sind, die aber aus dem Volk und der Gesellschaft kommen und für das Volk und die Gesellschaft gebildet werden – lebendige Alltagssprache von Menschen mit deutscher Sprache für Menschen mit deutscher Sprache.
Hysterie und Hitparade
In wenigen Wochen werden wir das neue Unwort des Jahres kennenlernen, die Hysterie um eine zweifelhafte Hitparade bekommt neue Nahrung. Es darf spekuliert werden, ob es vielleicht diesmal "Abwrackprämie“ heißt, oder "hartzen“ (so nennen Jugendliche seit Neustem das "Faulenzen und Geld vom Staat kassieren"). Vielleicht entscheidet sich die Jury ja auch für "SPD“ als Unwort des Jahres? Wie immer die Entscheidung ausfällt, fest steht: Wer die Sprache einer Gesellschaft an den Pranger stellt, der stellt den Menschen selbst an den Pranger. Ist also die Wahl des Unwortes nicht eher eine völlig überflüssige "fürsorgliche Bevormundung“? Womit womöglich ein neues Unwort gefunden wäre…
Autor: Robert Bales
Redaktion: Marlis Schaum