Blairs Aufgabenzettel für die EU
1. Juli 2005Wenn der britische Premier Tony Blair am 1.7.2005 den Taktstock in der Europäischen Union übernimmt, fürchten viele EU-Diplomaten in Brüssel, dass sie nach der britischen Pfeife tanzen müssen. Doch sein Leitmotiv heiße nicht "Rule Britannia" (Herrsche, Britannien), beruhigte Tony Blair bei seinem letzten Auftritt in Brüssel vor der Presse. Seine Ziele für die sechs Monate EU-Ratspräsidentschaft seien viel bescheidender, sagte der gewinnend lächelnde Premier.
Erst Subventionen kappen, dann den Rabatt
Aus der Sackgasse, in die der Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung und der Streit um die EU-Finanzen hineingeführt habe, führe nur eine ehrliche, gesunde Diskussion wieder heraus. "Ich beanspruche in dieser Debatte keine besondere Stellung und ich habe auch keine speziellen Antworten", betonte Blair. "Es geht nicht darum, uns jetzt gegenseitig zu beleidigen, sondern über die grundlegenden europäischen Fragen zu sprechen."
Die Vorwürfe des scheidenden EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker, er, Tony Blair, habe den EU-Karren absichtlich vor die Wand fahren lassen, lässt "Teflon-Tony" an sich abperlen. Es gehe nur darum, dass die EU ihr Geld sinnvoll ausgebe, also nicht für die Landwirtschaft und unnötige Strukturbeihilfen, sondern für Forschung, Bildung und Innovation. Dann könne man auch über den berühmt-berüchtigten Briten-Rabatt und die Netto-Beiträge reden.
Keine radikale Marktwirtschaft
In seiner EU-Präsidentschaft will Blair weder die politische Union auflösen noch das europäische Sozialmodell auf radikale Marktwirtschaft umstellen, wie ihm das zum Beispiel Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstellt: "Menschen kann man durch Investitionen schützen, in Fähigkeiten und Bildung, in ein weltweit wettbewerbsfähiges Universitätssystem." Es gehe nicht darum, soziale Sicherung abzuschaffen, sondern darum, sich den Gegebenheiten anzupassen. "Wenn wir das nicht tun, werden wir in absehbarer Zeit langsam oder schnell absteigen."
Antworten auch umsetzen
Tony Blair weiß, dass die Anhänger einer tieferen Integration der Europäischen Union ihm Knüppel zwischen die Beine werfen werden. Er glaubt aber, dass die Bürger, die in Frankreich und den Niederlanden die Verfassung abgelehnt haben, mehr Transparenz und neue Antworten auf die Globalisierung brauchen: "Was ich ein bisschen frustrierend finde, ist, dass wir in Europa andauernd Kommissionen auffordern, Anworten zu finden. Wenn die Antworten dann vorliegen, passiert aber nichts."
Blairs Kurs, Ziele der EU und den Haushalt im Paket zu sanieren, wird von vielen Spitzenpolitikern begrüßt. Außerdem will der britische Ratspräsident vor allem den Schuldenerlass für Entwicklungsländer und eine Erhöhung der Entwicklungshilfe vorantreiben. Blair will den gemeinsamen Markt für Dienstleistungen liberalisieren – wobei die Dienstleistungsrichtlinie für viele Franzosen ein rotes Tuch ist.
Ja zum Türkei-Beitritt
Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fällt in Blairs Amtszeit. Er unterstützt sie voll und ganz. Das Referendum zur Verfassung in Großbritannien erwähnt Blair nicht mehr. Die Europabegeisterung der Briten ist sowieso nicht besonders groß. Ob ihr Premier nun EU-Ratspräsident ist oder nicht, ist ihnen herzlich egal, wie eine Meinungsumfrage zeigt.
Kompromisse, aber schnell
Am europäischen Dirigentenpult will Blair auf Harmonie setzen, er weiß, dass er Kompromisse finden muss: "Die Frage ist, wie wir zumindest einen Reformprozess auslösen können und nicht bis zum Jahr 2014 warten, bis wir etwas ändern."
Statt "Rule Britannia" wird Tony Blair, ein Meister der Kommunikation, die anderen Staats- und Regierungschefs doch wieder mit der gewohnten Melodie von Beethovens neunter Symphonie umgarnen: Europa, wo "alle Menschen Brüder" werden - aber ein bisschen britischer als bisher soll es schon zugehen.