Debatte um Weihnachtslied von NS-Autor
25. Dezember 2022Das Christentum und seine Bräuche waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Sollte doch nicht Jesus Christus als Heilsbringer gefeiert werden, sondern der "Führer" Adolf Hitler. Auf ihn allein sollten sich auch während der Weihnachtszeit die Hoffnungen der Deutschen stützen. So bemühte sich das Regime nach Kräften, die christliche Weihnacht durch einen völkisch orientierten, nationalsozialistischen Weihnachtskult zu ersetzen.
Auch die Weihnachtslieder gerieten in den Fokus der Nationalsozialisten. Alle Verbindungen des christlichen Glaubens zum Judentum sollten verwischt werden. So wurden während der NS-Zeit sogar Texte beliebter Weihnachtslieder umgedichtet. Aus "Es ist ein Ros entsprungen" - Standardrepertoire am Heiligen Abend - verschwanden jüdische Namen wie Jesse oder Jesaja, ganze Zeilen wurden komplett ausgetauscht. Lieder wie "Tochter Zion, freue dich" oder "Zu Betlehem geboren" wurden gleich ganz verboten.
Neue Weihnachtslieder während der Nazi-Diktatur
Auch völlig neue Weihnachtslieder wurden in der Nazizeit komponiert, darunter das stark propagierte Lied "Hohe Nacht der klaren Sterne". Dieses wurde auch in der Nachkriegszeit weiter von Interpreten wie dem deutschen Schlagersänger Heino gesungen. Der ursprünglich christliche Inhalt des Schweizer Sternsingerliedes "Es ist für uns eine Zeit angekommen" ist inzwischen nahezu ganz in Vergessenheit geraten - im Gegensatz zur Umdichtung aus der Nazi-Ära, in der eine Winterwanderung beschrieben wird.
Zu den neu geschriebenen Weihnachtsliedern aus der NS-Zeit gehört auch das Stück "Wisst ihr noch, wie es geschehen" des regimetreuen Dichters Hermann Claudius (1878-1980). Er hat das Lied im Jahr 1939 verfasst. Es steht noch heute im Evangelischen Gesangbuch und wird wegen seiner einfachen, aber schönen Melodie auch noch in zahlreichen Gemeinden gerne zur Weihnachtszeit gesungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Weihnachtsliedern aus der NS-Zeit, die voller Schwulst und Pathos waren, ist der Text des Liedes unauffällig.
Problematischer Autor, unproblematischer Text
Tatsächlich notierte der Musikwissenschaftler Udo Wennemuth in der "Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch", der Text zu "Wisst ihr noch, wie es geschehen" sei auf Anregung eines christlichen Verlegers entstanden, der sich nicht mit der "liturgischen Aushöhlung" des Weihnachtsfestes abfinden wollte. Claudius Hermann hat im Laufe seiner Karriere jedoch auch Zeilen wie "Herrgott, steh dem Führer bei, daß sein Werk das Deine sei" gedichtet. Auch nach Ende der NS-Diktatur sei er laut Christa Kirschbaum, Landeskirchenmusikdirektorin der hessen-nassauischen Landeskirche, nicht durch Selbstkritik aufgefallen. Daher fände sie es unpassend, "Wisst ihr noch, wie es geschehen" weiter im Gottesdienst zu singen.
Ansgar Franz, Professor am Seminar für Praktische Theologie der Universität Mainz, sieht das anders, denn nicht das Lied sei belastet, "sondern der Autor". Hier solle man unterscheiden: "Das Lied vertritt ja gerade nicht die NS-Sicht auf Weihnachten."
Überarbeitung des Gesangbuchs läuft
Franz gibt sich im DW-Interview überzeugt: "In den christlichen Gesangbüchern gibt es kein einziges 'belastetes' Lied (verstanden als ein Lied, das nationalsozialistische, d.h. etwa rassistische, fremdenfeindliche Inhalte verbreitet, und sei es subkutan), wohl aber möglicherweise Autoren, die in der Zeit des Nationalsozialismus die nötige Distanz zum Regime haben vermissen lassen." Und er stellt die Frage: "Aber nun bei jedem als 'gut' empfundenen Lied nachzuforschen, ob der Verfasser politisch und theologisch korrekt war? Ist das sinnvoll? (...) Ich bin sehr dafür, gründlichst die Lieder zu prüfen, aber wie weit sollte eine Prüfung der Autoren gehen?"
Momentan arbeiten Experten aus Deutschland und Österreich an einer Überarbeitung des in den 1990er-Jahren eingeführten Evangelischen Gesangbuchs. Auch Christa Kirschbaum ist Mitglied der Kommission, die über dessen Inhalt entscheidet. Ob das Weihnachtslied von 1939 dort noch einmal zu finden sein wird, sei noch unklar, so Kirschbaum.