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Boko Haram umzingelt Millionenstadt

Hilke Fischer12. September 2014

Berichte über den Vormarsch von Boko Haram auf die Großstadt Maiduguri im Nordosten Nigerias verdichten sich. Die nigerianischen Soldaten haben den Islamisten nichts entgegenzusetzen und desertieren.

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Flüchtlinge in Maiduguri Foto: AP Photo/Jossy Ola
Bild: picture alliance/AP Photo

Nachts liegt er wach und hört Schüsse in der Ferne. Keiner könne mehr ein Auge zumachen, erzählt ein DW-Hörer aus Maiduguri, der mehr als eine Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des nordostnigerianischen Bundesstaats Borno. Der Hörer möchte anonym bleiben, zu groß ist seine Angst vor der Terrorgruppe Boko Haram, die Tag für Tag näher an Maiduguri heranrückt.

Gwoza, Bama, Gulak, Michika, Duhu, Shuwa, Kirshinga - inzwischen erobern die Islamisten fast täglich neue Städte. Sie rollen in erbeuteten Armeefahrzeugen an, schlagen die Soldaten der nigerianischen Armee in die Flucht und terrorisieren die Bevölkerung. "Die Kämpfer morden und vergewaltigen. Sie verschleppen junge Frauen, überall liegen Leichen", beschreibt Ahmed Zanna die Situation in der Stadt Bama, rund 70 Kilometer von Maiduguri entfernt. Zanna ist Abgeordneter im nigerianischen Senat, sein Wahlkreis ist in Bama und Umgebung. Er klingt resigniert, als er vier Tage nach der Eroberung der Stadt erzählt, wie sich die Soldaten, die Bama befreien sollten, auf halber Strecke von Maiduguri geweigert hätten, weiterzugehen: "Die waren zu schlecht ausgerüstet und sind in Konduga geblieben."

Markt in Mubi, Nigeria Foto: EPA/DEJI YAKE
Noch geht das Leben in der Stadt Mubi seinen gewohnten GangBild: picture-alliance/dpa

"Es gibt keine Polizisten mehr vor Ort, keine Soldaten, praktische überhaupt keine Vertreter der Regierungsgewalt", sagt der Parlamentsabgeordnete der Stadt Gwoza, Peter Biye Gumtha, im Gespräch mit der DW. "Einigen Quellen zufolge hat Boko Haram angekündigt, Maiduguri am 27. September anzugreifen."

Mit Kalaschnikows gegen Maschinengewehre

Für die Terrorgruppe wäre Maiduguri ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einem islamistischen Gottesstaat in Nordnigeria. "Selbst eine kurzfristige Einnahme wäre ein riesiger symbolischer Sieg für Boko Haram", sagt Ryan Cummings, südafrikanischer Sicherheitsberater und Mitglied des Nigeria Security Networks, im DW-Interview. Boko Haram bekäme noch stärkeren Auftrieb, glaubt auch der Nigerianer Nnamdi Obasi vom Think Tank International Crisis Group. Die Islamisten kontrollierten dann nicht nur erstmals eine Millionenstadt, sondern auch einen internationalen Flughafen. Inzwischen hat eine einflussreiche Gruppe von hochrangigen pensionierten Militär- und Verwaltungsvertretern, das Borno Elders Forum, vor der Übernahme von Maidiguri gewarnt. Boko Haram habe die Stadt umzingelt, die Regierung müsse sofort Soldaten schicken.

Die Moral der Soldaten in der nigerianischen Armee ist katastrophal, ihre Ausrüstung ist schlechter als die der Terroristen. "Ein Offizier hat mir gesagt, dass er nichts gegen Boko Haram ausrichten könne. Die Gruppe hat die modernsten Maschinengewehre, die Armee hat Kalaschnikows", berichtet der Journalist Sheriff Alhassan der DW. Er ist einer der wenigen Reporter, die sich noch in die umkämpften Gebiete trauen. Derzeit ist er in Mubi. Die Stadt liegt im Bundesstaat Adamawa und droht, ebenfalls durch die von Norden heranrückenden Boko-Haram-Kämpfer eingenommen zu werden. "Wir haben alle Angst", erzählt eine Einwohnerin in Mubi. "Am meisten ängstigt uns, dass die Soldaten in unsere Häuser kommen, ihre Uniformen ablegen und sich Alltagskleidung anziehen. Wenn das Militär bereits Reißaus nimmt, dann haben wir keine Chance."

Zehntausende auf der Flucht

Aus den umkämpften Gebieten in Adamawa fliehen viele Menschen in die Provinzhauptstadt Yola. Einwohner dort nehmen sie in ihre bescheidenen Häuser auf. Teilweise müssen sich mehr als zehn Menschen ein Zimmer teilen.

Karte Nigeria mit den Bundesstaaten Borno und Adamawa DEU

"In unserer Stadt gibt es niemanden mehr. Alle sind geflohen", erzählt eine Flüchtlingsfrau der DW. "Die Terroristen sind in die Stadt gekommen und bringen die Leute um. Ich habe gerade einen Anruf bekommen, dass in meiner Heimatstadt Bomben geworfen werden." In Yola sei sie nun dringend auf Hilfe angewiesen. "Wir brauchen Essen, für uns, für die Kinder und für unsere Verwandten, die mit uns gekommen sind."

400 Kilometer weiter nördlich packen auch viele Einwohner Maiduguris schon ihre Sachen. "Die Menschen haben Angst. Viele haben die Stadt bereits verlassen", berichtet eine Frau, die anonym bleiben möchte. "Wir, die hier bleiben, hoffen, dass Gott uns hilft.

Andere Einwohner Maiduguris sind fest entschlossen, selbst Boko Haram entgegenzutreten - auch wenn sie nur Stöcke als Waffen haben. Tausende junge Männer fordern von der Regierung, als Teil einer Bürgerwehr die Soldaten bei der Verteidigung der Stadt zu unterstützen.

Bürgerwehren in Maiduguri Foto: AP Photo/Jossy Ola
Bürgerwehren wollen Maiduguri vor Boko Haram schützenBild: picture-alliance/AP Photo

Auf die Armee verlassen will sich dagegen kaum jemand mehr. "Es sind Soldaten in der Stadt, aber sie haben keine schweren Waffen", erzählt der DW-Hörer, dem die näher rückenden Schusswechsel den Schlaf rauben. Auch Senator Ahmed Zanna ist skeptisch, dass die Armee Maiduguri halten kann. "Wenn eine Stadt wie Bama, in der mehr als tausend Soldaten stationiert waren, innerhalb von drei, vier Stunden fällt, dann ist meine Sorge groß, dass sie es jetzt auf Maiduguri abgesehen haben."

Inzwischen sei Bama wieder unter der Kontrolle der Soldaten, lässt die Armee verlauten. Maiduguri sei sicher. Unabhängige Berichte, die das bestätigen, gibt es aber nicht. Ruhig schlafen können die Bürger noch lange nicht.