Tsitsi Dangarembga steht vor Gericht
16. September 2020Drei Tage nach der Nominierung ihres Romans "Aufbrechen" (im Original "This Mournable Body") für die Longlist des Booker Prize wurde Tsitsi Dangarembga in Harare festgenommen. Nun hat es die Schriftstellerin aus Simbabwe mit ihrem Roman auf die Shortlist des renommierten Literaturpreises geschafft - wenige Tage vor Beginn ihres Gerichtsprozesses.
"Wir wollen Besseres. Reformiert unsere Institutionen"
Im Juli stand Tsitsi Dangarembga mit einem Freund an einer Kreuzung und hielt ein Plakat in der Hand, auf dem zu lesen war: "Wir wollen Besseres. Reformiert unsere Institutionen". Kurz darauf hielt ein Transporter an, die Polizei nahm sie in Gewahrsam. Nur wenige Menschen hatten es gewagt, sich den Protesten gegen die Regierung anzuschließen, zu denen die Opposition aufgerufen hatte anlässlich des zweiten Jahrestages des Wahlsiegs von Präsident Emmerson Mnangagwa am 31. Juli.
Im Vorfeld hatte der Präsident die Demonstrationen als "Aufstand zum Sturz unserer demokratisch gewählten Regierung" bezeichnet, sie für illegal erklärt und Polizeikräfte entsandt, um den Protest zu beenden. Die meisten Menschen zogen es daher vor, zu Hause zu bleiben und ihre Meinung höchstens über soziale Medien zum Ausdruck zu bringen.
Der Hashtag #ZANUPFmustgo bezog sich auf die Zimbabwe African National Union - Patriotic Front (ZANU-PF). Die politische Organisation ist seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1980 an der Macht. Lange Zeit unter der Herrschaft von Robert Mugabe, übernahm sein langjähriger Vizepräsident Mnangagwa nach einem Militärputsch im Jahr 2017 die Führung.
Kämpfen für grundlegende Bürgerrechte
Trotz der Drohungen von Mnangagwa gehörte Tsitsi Dangarembga zu denen, die auf die Straßen Harares gingen. "Ich war eine der wenigen, die das Gefühl hatten, dass uns unser Recht genommen wurde, friedlich zu demonstrieren", sagte sie der DW.
Die Kritiker protestierten gegen "die schlechte Regierungsführung in Simbabwe, das harte Vorgehen der Behörden gegen Andersdenkende und natürlich gegen Korruption, die mangelnde Erbringung von Dienstleistungen und die Veruntreuung von Geldern, die zur Behandlung von COVID-19 vorgesehen waren".
Tsitsi Dangarembga wurde am Tag nach ihrer Verhaftung freigelassen, doch sie wird nun "beschuldigt, an einem Treffen teilgenommen zu haben mit der Absicht, zu öffentlicher Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie aufzustacheln", so die Autorin. Diese Anschuldigungen könnten sie ins erneut ins Gefängnis bringen. "Ich muss auf alles vorbereitet sein. Ich hoffe und bete für das Beste."
Autorin einer der "100 Geschichten, die die Welt geprägt haben"
Der 2018 veröffentlichte Roman "Aufbrechen" wurde von der "New York Times Book Review" als "Meisterwerk" gelobt, "Kirkus Reviews", ein Magazin für Buchbesprechungen, beschrieben ihn als "eindringlichen, prägnanten und zeitgemäßen Einblick in die Art und Weise, wie Frauenfeindlichkeit und Klassenkonflikte das Leben im postkolonialen Simbabwe prägen".
Der für den Booker Prize nominierte Roman ist der dritte Teil einer Trilogie, die Tsitsi Dangarembga 1988 mit "Nervous Conditions" begann, das auf Deutsch 1991 unter dem Titel "Der Preis der Freiheit" erschien. Die Fortsetzung mit dem Titel "The Book of Not" erschien 2006. Eine deutsche Übersetzung gab es nicht. "Der Preis der Freiheit" legte den Grundstein für Dangarembgas Ruf in der internationalen Literaturszene: Es war das erste von einer Schwarzen aus Simbabwe geschriebene Buch, das in englischer Sprache veröffentlicht wurde. Die Autorin gewann damit 1989 den Commonwealth Writers' Prize, Übersetzungen in viele Sprachen folgten.
Im Jahr 2018 wurde der Roman in die BBC-Liste der "100 Geschichten, die die Welt prägten" aufgenommen und landete zwischen Salman Rushdies "Mitternachtskinder" und Antoine de Saint-Exupérys "Der kleine Prinz".
Anschreiben gegen die Mächtigen
Doch der Beifall für Dangarembgas Debütroman machte es ihr nicht leichter, neue Projekte zu verwirklichen. "'Der Preis der Freiheit' bekam in Simbabwe keinen Boden unter den Füßen", sagte sie auf dem Eröffnungspanel des Afrikanischen Buchfestivals 2019 in Berlin, zu dem sie als Kuratorin der Veranstaltung eingeladen war. "Ich habe immer gegen die Macht geschrieben, und deshalb gehen manche Dinge nicht."
Nach ihrem Debütroman studierte die 1959 in Rhodesien (heute Simbabwe) geborene Autorin von 1989 bis 1996 Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, anschließend promovierte sie in Afrikastudien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Während dieser Zeit schrieb sie das Drehbuch für den Film "Neria" (1993), der zum erfolgreichsten Film Simbabwes wurde. Dazu trug auch der Soundtrack des im Januar 2019 verstorbenen Musikers Oliver Mtukudzi bei - die wohl international bekannteste Kultur-Ikone des Landes.
Dangarembga führte auch bei ihren eigenen Dokumentar- und Spielfilmen Regie, darunter "Everyone's Child" (1996). Nachdem sie eine Zeit lang in Europa gelebt hatte, kehrte sie 2000 mit ihrer Familie nach Simbabwe zurück, wo sie verschiedene Projekte zur Entwicklung der Filmindustrie und zur Unterstützung von Regisseurinnen ins Leben rief. So gründete die Filmemacherin die Produktionsfirma Nyerai Films sowie das International Images Film Festival for Women of Harare. Sie ist auch Gründungsmitglied des Institute of Creative Arts for Progress in Africa, einer Organisation, die Kunstwerke und audiovisuelle Produktionen in Simbabwe unterstützt.
Für den Booker Prize nominiert, von Verlagen abgelehnt
Ihr Roman "Aufbrechen" hätte fast nicht das Licht der Welt erblickt. "Er war von verschiedenen Verlegern abgelehnt worden, und irgendwann war ich so verzweifelt, dass ich Auszüge auf Facebook zu posten begann", verriet Dangarembga auf dem Afrikanischen Buchfestival. Dort wurde die renommierte Herausgeberin und Literaturkritikerin Ellah Wakatama Allfrey darauf aufmerksam, die das Buch veröffentlichen ließ.
Die Nominierungen für den Booker Prize - zunächst für die Longlist und nun für die Shortlist - kommen genau richtig, um der Autorin vor ihrer Gerichtsverhandlung internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen: "Ich bin froh, dass die Festnahme erst erfolgte, nachdem ich auf der Longlist für den Booker Prize stand, denn ich schreibe seit über drei Jahrzehnten, und ich war nicht sehr erfolgreich", sagte die Autorin der DW im August während eines Video-Interviews in ihrem Haus in Harare. "Diese Art der Anerkennung ist sehr gut für mein Selbstvertrauen", fügte sie hinzu. "Und es ist wunderbar, etwas so Positives in einer Zeit zu haben, in der ich diese anderen Herausforderungen durchmachen muss."
Sabine Kieselbach interviewte Tsitsi Dangarembga im August für den YouTube-Kanal DW Books.
Adaption: Torsten Landsberg