Boomland auf Abruf
11. Januar 2012Die deutsche Wirtschaft ist im Jahr 2011 wieder kräftig gewachsen: Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) war um drei Prozent höher als im Vorjahr. Dies ergaben erste Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. Damit setzte sich das Wachstum auch im zweiten Jahr nach der Wirtschaftskrise fort. 2010 stieg die deutsche Wirtschaftsleistung um fast vier Prozent, nachdem sie im Jahr zuvor im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise um mehr als fünf Prozent eingebrochen war. Das Vorkrisenniveau wurde im Jahresverlauf 2011 überschritten.
Drei Säulen für den Aufschwung
Für den Chefvolkswirt der Bayerischen Landesbank liegt der Grund für diese Entwicklung vor allem im Export, der um über acht Prozenz zugelegt hat. "Die deutsche Wirtschaft hat stark an der Erholung der Weltwirtschaft partizipiert", so Pfister gegenüber DW-TV. "Im Zuge dessen steigen auch die Unternehmensinvestitionen."
Doch auch die privaten Konsumausgaben erwiesen sich als Stütze der wirtschaftlichen Entwicklung: Sie legten preisbereinigt mit 1,5 Prozent so stark zu wie zuletzt vor fünf Jahren. Die robuste Verfassung des Arbeitsmarktes lässt hoffen, dass auch 2012 mit dem privaten Konsum zu rechnen ist.
Die im Aufschwung kräftig steigenden Steuereinnahmen drückten das Staatsdefizit deutlich. Die Neuverschuldung von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung fiel auf ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 2010 waren es noch 4,3 Prozent. Damit wurde die im EU-Stabilitätspakt festgesetzte Schuldengrenze von drei Prozent wieder eingehalten.
Abschwung bereits spürbar
Der Schönheitsfehler bei dem Ganzen: Das Wachstum konzentrierte sich auf die erste Jahreshälfte 2011. Im vierten Quartal ist die deutsche Wirtschaftskraft ersten Schätzungen zufolge um 0,25 Prozent gesunken.
"Mit Verspätung hat sich die Finanzkrise auf die deutsche Konjunktur ausgewirkt", sagt Andreas Scheuerle von der DekaBank. Vor allem in der Eurozone werden wegen der Schuldenkrise vielerorts Steuern erhöht, Löhne gekürzt und Investitionen gestrichen. Die OECD und eine Reihe Ökonomen sehen deshalb den Euroraum 2012 in die Rezession hineinschlittern. Das wird nicht spurlos an Deutschland vorbei gehen. Die Bundesbank erwartet nur noch ein Wachstum von 0,6 Prozent, die Deutsche Bank sagt sogar eine Stagnation voraus.
Andere Experten sind optimistischer. "Wir glauben nicht, dass Deutschland in eine Rezession fällt", meint der Deutschland-Chefvolkswirt von UniCredit, Andreas Rees. "Wir halten in diesem Jahr ein Wachstum von rund einem Prozent für möglich." Der zuletzt zweimal in Folge gestiegene Ifo-Index signalisiere, dass sich die Stimmung in den Unternehmen stabilisiere.
Auch Jürgen Pfister von der Bayerischen Landesbank erwartet keine Einbrüche für dieses Jahr: "Außerhalb Europas bleibt die Weltwirtschaft dynamisch und wird 2013 sogar an Schwung gewinnen." Da Deutschland im Export breit aufgestellt sei, würde die Schwäche in Europa die Entwicklung hierzulande allenfalls drücken, aber nicht abwürgen.
Ungewisser Ausgang der Schuldenkrise
Doch auch wenn Deutschlands Abhängigkeit von Europa abgenommen hat, bleibt die EU der größte Handelspartner für die Deutschen. 60 Prozent des deutschen Exports gehen in die anderen EU-Länder. Da Deutschland die größte Last in der Schuldenkrise schultern muss, hängt letztlich alles von der weiteren Entwicklung dieser Krise ab.
Der ungewisse Ausgang der Schuldenmisere macht Prognosen schwierig, räumen Experten ein. "Wir haben seit dem gescheiterten EU-Gipfel im Sommer 2011 eine erhöhte Unsicherheit, die sich wie Mehltau auf die Wirtschaft legt", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Dem könne sich auch die sehr wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft nicht entziehen.
Autorin: Zhang Danhong (mit Reuters, dpa)
Redaktion: Andreas Becker