Boris Johnson baut Brücken nach Europa
19. Januar 2018Jetzt, da es scheint, als trieben die britischen Inseln sozusagen per Kontinentaldrift von Europa weg, da wird es einigen, die diesen Prozess nach Kräften anschoben, offenbar weh ums Herz. Während die EU die Tür für London sperrangelweit offen hält - zuletzt buhlten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk mit warmen Worten um das 28. Mitglied -, zeigt sich nun auch einer der führenden Brexiteers entschlossen, die Verbindung nicht abreißen zu lassen.
Boris Johnson, einst Wortführer der Anti-EU-Kampagne, war bis 2016 Bürgermeister von London. In dieser Eigenschaft konnte er über mehr als 30 Brücken seiner Metropole spazieren, darunter weltbekannte wie die Tower Bridge oder futuristische Bauwerke wie die Millenium Bridge. Doch der jetzige Außenminister will weiter ausgreifen.
Monumente des Jahrhunderts
Es sei absurd, dass Großbritannien und Frankreich, "zwei der stärksten Volkswirtschaften der Welt", lediglich durch den Eurotunnel verbunden seinen, habe Johnson konstatiert. So berichtet es der "Daily Telegraph", der den Konservativen fast ebenso nahe steht wie Johnson selbst. Daher habe er dem französischen Staatschef Emmanuel Macron beim britisch-französischen Gipfel in Sandhurst am Donnerstag vorgeschlagen, eine zweite Verbindung zu bauen - nicht unter, sonder über dem Ärmelkanal.
Der Präsident der Grande Nation sah in diesem Augenblick womöglich die einmalige Chance, seinen Namen mit einem Jahrhundertbauwerk zu verbinden, das die Monumente seines Vor-vor-vor-Vorgängers François Mitterand, etwa die gläserne Pyramide im Innenhof des Louvre, noch weit übertreffen könnte. Er packte die historische Gelegenheit beim Schopf: "Ich stimme zu. Lasst uns das machen", war die Antwort. So jedenfalls kolportiert der selbsternannte Brexit-Brückenbauer die Geschichte.
"An Ausführung wohl nicht zu denken"
20 Meilen, etwa 32 Kilometer, liegen an der schmalsten Stelle zwischen dem Festland und jener Insel, die einst das Zentrum eines Weltreichs war. Die Strecke, die heutige Passagiere im Eurotunnel zurücklegen, ist 50 Kilometer lang. Ihre Endpunkte, Folkestone in der Grafschaft Kent und das französische Coquelles nahe Calais, sind fast genau dieselben, die kühne Ingenieure bereits im 19. Jahrhundert durch eine geschwungene Eisenkonstruktion zusammenspannen wollten.
Die deutsche Bauzeitung kam freilich im Februar 1890 zu dem Urteil, "dass an Ausführung wohl nicht zu denken sei". Der sachkundige Autor machte dafür weniger technische Hindernisse als ökonomische Hürden verantwortlich. Maßgebliche Kreise im Vereinigten Königreich stemmten sich dagegen, weil sie eine "Schädigung der englischen Handelsinteressen" wähnten, "insbesondere der englischen Vermittelung des festländischen Ueberseehandels", mutmaßte das Fachorgan.
Derlei Befürchtungen gehören wohl der Vergangenheit an - und schon gar die Angst, Ingenieure des 21. Jahrhunderts könnten an der Herausforderung scheitern, die Straße von Dover zu überspannen. "Die Technik entwickelt sich ständig weiter - es gibt anderswo viel längere Brücken", soll Johnson zu seinen Mitarbeitern gesagt haben.
Und die Perspektiven für die Wirtschaft sieht der Minister, der als Kind in der Europastadt Brüssel zur Schule ging, gleichermaßen rosig: Eine privat finanzierte Brücke würde Handel und Tourismus in Großbritannien nach dem Brexit ankurbeln, so Johnson laut "Daily Telegraph".
Drittlängster Eisenbahntunnel der Welt
Außer der Fährverbindung können Kontinentalreisende, welche die nunmehr scheidungswillige Insel besuchen wollen, seit 1994 den drittlängsten Eisenbahntunnel der Welt nutzen. Auch diese Idee hatten Ingenieure schon im 19. Jahrhundert - und sie hat sich mit gewisser Verzögerung durchgesetzt. Ob das auch für die kühne Vision der EU-Spitze gilt, die innige politische Verbindung zum Königreich, anders als von dessen Premierministerin Theresa May gewollt, doch über 2019 hinaus weiter zu pflegen, bleibt allerdings offen.
jj/rb (dpa, rtr, bauzeitung)