Die "kleine Sache" mit dem Brexit
21. August 2019Das ist also der Mann, Boris Johnson, über den so viel geredet wurde dieser Tage in Berlin. Zunächst einmal ist alles wie bei jeden anderen Besuch ausländischer Regierungschefs: Die militärischen Ehren absolvieren Johnson und Kanzlerin Angela Merkel im Sitzen. Das ist seit einigen Wochen in Berlin so, nachdem Merkel bei ähnlichen Anlässen heftig gezittert hatte. Immerhin: Johnson, sonst immer für jede politische Polterei gut, kommt der Kanzlerin hier entgegen.
Laute Proteste gegen den britischen Premier
Vor den Zäunen des Kanzleramtes finden sich mehr Zuschauer ein als sonst, laut klingen Rufe wie "No Brexit" und "Lügner" bis in den Ehrenhof. Ein freundlicher Empfang sieht anders aus. Dann geben Johnson und Merkel kurze Erklärungen ab. Eine Unsitte, die seit einiger Zeit üblich ist in Berlin: Die Presse wird vor den Gesprächen informiert, über den tatsächlichen Verlauf des Treffens erfährt man nichts. Das Foyer im ersten Stock des Kanzleramtes ist trotzdem dicht gefüllt mit Journalisten. Merkel und Johnson geben sich bemüht freundlich.
Johnson sagt: "Wir schaffen das" - auf Deutsch
Merkel erklärt: "Wir haben oft gesagt von deutscher Seite, dass wir den Austritt bedauern, aber es ist ein Fakt." Deutschland bevorzuge einen "verhandelten" Austritt Großbritanniens aus der EU, sei aber auch auf einen harten Brexit vorbereitet. Johnson nimmt das unbewegt hin, dann zählt er auf: bei den Menschenrechten, beim Klimawandel, bei der Mitgliedschaft in der Nato - überall gemeinsame Werte.
Aber dann, sagt Johnson, gibt es ja noch diese "kleine Sache" mit dem Brexit. Er wolle einen verhandelten Weg seines Landes hinaus aus der EU, sagt Johnson und fügt auf Deutsch hinzu: "Wir schaffen das!" Das hatte Merkel zu Beginn der großen Fluchtbewegung nach Deutschland vor gut vier Jahren gesagt. Heute ist es der bekannteste Satz in Merkels Regierungszeit. Beide, Merkel und Johnson, sprechen dann von möglichen Alternativen zur gegenwärtigen Sackgasse. Aber worin die bestehen könnten, wird nicht deutlich.
Mittwoch Berlin, Donnerstag Paris
Beobachter in London hatten geargwöhnt, der Sinn der Reise Johnsons nach Berlin und dann nach Paris sei es, die Schuld für einen möglichen harten Brexit möglichst früh den Europäern in die Schuhe zu schieben. Aus anderen Quellen hieß es, Johnson glaube, noch am ehesten bei Kanzlerin Merkel punkten zu können, nicht bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aber auch Merkel hatte schon am Dienstag bei einem Besuch in Island klar gestellt: "Wir werden natürlich über praktische Lösungen nachdenken. Aber dazu müssen wir das Austritts-Abkommen nicht aufmachen."
Johnson geht es um die Regeln für die irische Grenze
Johnson geht es in seinem jüngsten Vorstoß zu Neuverhandlungen vor allem um den so genannten "Backstop". Diese Regelung, niedergelegt im Abkommen mit der EU, sieht vor, dass Großbritannien nach dem Ausscheiden aus der EU so lange in einer Zollunion mit der Europäischen Union verbunden bleibt, bis eine Lösung für das Grenzproblem zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland gefunden wird. Johnson nannte diese Regelung "undemokratisch".
Aber für die EU-Staaten ist vor allem der Schutz des Mitgliedslandes Irland extrem wichtig. Die Befürchtung ist: Kommt es zum Austritt ohne Abkommen, werden zwischen Irland und Nordirland wieder Schlagbäume errichtet. Immerhin sagt Merkel nun, wenn ein Wille da sei, könne "vielleicht in den nächsten 30 Tagen eine Lösung für den Backstop" gefunden werden - also noch vor dem Austrittsdatum am 31. Oktober.
Vize-Kanzler Olaf Scholz: Niemand sollte Änderung erwarten
Da klang der deutsche Finanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittag noch schroffer: "Wir haben einen Vertrag vorbereitet, und niemand sollte erwarten, dass jetzt an den Regelungen, die dort getroffen worden sind, etwas geändert werden kann."
Gegen jede Gepflogenheit äußerte sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Brexit. Eigentlich hält sich das Staatsoberhaupt in der Tagespolitik zurück. Steinmeier sagte aber am Mittwoch: "Alle Varianten, die jetzt noch vorgeschlagen werden können, sind eigentlich schon Gegenstand von Gesprächen gewesen." Er habe den Eindruck, dass es Johnson mehr um "Schuldzuweisungen" gehe.
Bürger in Berlin wollen keinen Brexit
Auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, nur wenige hundert Meter vom Kanzleramt entfernt, sind die Meinungen über Boris Johnson und den Brexit eindeutig: "Ich hoffe, dass es eigentlich so bleibt, wie es jetzt ist. Ich finde es besser für Europa", fasst ein Mann die vorherrschende Ansicht zusammen. Eine ältere Frau erinnert an bessere europäische Zeiten nach dem Krieg und sagt: "Man kann doch nicht das, was man zusammengebracht hat, mit Mühe und Not, wieder einzeln zerbröckeln."
Eine aufgebrachte Frau möchte, dass die Europäer standhaft bleiben: "Dann wären die schön blöd, wenn sie dem Johnson jetzt nachgeben. Dann wähle ich sie auch nicht mehr." Aber im Moment sieht es nicht so aus, als wenn das Europa der 27 EU-Staaten sich spalten lässt. Ein harter Brexit am 31. Oktober wird immer wahrscheinlicher.