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Kultur-Boykott gegen Russland

Gaby Reucher
3. März 2022

Europaweit werden russische Künstler, Musiker und Filmemacher von Veranstaltungen und Wettbewerben ausgeschlossen. Doch wie weit soll der Boykott gehen?

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 Über dem Eingang des Deutschen Theaters hängt ein blau-gelbes Banner mit der Aufschrift "We stay united" .  Davor stehen Menschen
Zur Solidaritätsveranstaltung des Deutschen Theaters mit der Ukraine kamen zahlreiche Menschen Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Die Boykott-Meldungen in den Medien überschlagen sich. Immer mehr Künstler und Kulturinstitutionen in Europa solidarisieren sich mit der Ukraine. Zuletzt hat das internationale Filmfestival von Cannes bekanntgegeben, dass man aus Protest gegen den Ukraine-Krieg in diesem Jahr keine russischen Delegationen aus Russland empfangen will. Auch kritische Filmemacher sind vom Boykott betroffen, obgleich man den Mut all jener bewundere, "die in Russland das Risiko eingehen, gegen die Invasion der Ukraine zu protestieren".  

Auch die Europäische Filmakademie (EFA) hat den Einmarsch von Präsident Putin in die Ukraine unmissverständlich verurteilt und Russland von den European Film Awards verbannt.

Auch Künstler in Russland protestieren

Plakat mit Aufschrift "Kein Krieg" am Newski-Prospekt an einer Stromleitung.
Plakate wie dieses mit der Aufschrift "Kein Krieg" in St. Petersburg lässt die russische Regierung schnellstmöglich entfernenBild: Dmitri Lovetsky/AP/picture alliance

Trotz aller Gefahren von Repressionen wird auch der Widerstand russischer Künstlerinnen und Künstler im eigenen Land immer stärker. Eine Gruppe von russischen Kinderbuchautorinnen und -autoren hat sich solidarisiert und Wladimir Putin aufgerufen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Der Intendant des Moskauer Bolschoi Theaters, Wladimir Urin, hatte eine Petition unterschrieben, die von allen Konfliktparteien fordert, die Feindseligkeiten einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Urin gilt als Unterstützer Putins und trägt sogar den Ehrentitel "Volkskünstler Russlands".

Es gibt russische Kulturverantwortliche, die aus Protest gegen Putin sogar ihre offiziellen Ämter niederlegen, wie der Kurator und die Künstler des russischen Pavillons für die Kunstbiennale in Venedig. Sie hatten ihre Arbeit am Pavillon eingestellt. Der mitwirkende Künstler Kirill Savchenkov sagte in einem Instagram-Post: "Es gibt keinen Platz für Kunst, wenn Zivilisten unter dem Beschuss von Raketen sterben, wenn Bürger der Ukraine sich in Notunterkünften verstecken, wenn russische Demonstranten zum Schweigen gebracht werden." 

Pianist Lars Vogt will in Russland nicht mehr auftreten

Ähnlich sieht es auch der deutsche Pianist Lars Vogt und findet deutliche Worte: "Solange dieser Kriegsverbrecher an der Macht ist, gehe ich dort nicht mehr hin", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er wisse, dass es auch kämpferische Kräfte in Russland gebe, aber eben auch viele, die der russischen Propaganda in den letzten Jahren bedingungslos gefolgt seien. "Diese Art von Gehirnwäsche hat einfach zu einer völligen Vergiftung des Volkes geführt und leider haben sich dem wenige entgegengestellt", sagt Vogt, der das Land und die russische Sprache gut kennt.

Pianist Lars Vogt am Flügel.
Lars Vogt will in Putins Russland vorerst nicht mehr auftretenBild: Hermann Wöstmann/dpa/picture-alliance

Gerade Exilrussen, darunter auch Künstler, nutzten aus alter Heimatverbundenheit russische Medienkanäle als einzige Informationsquelle, meint Lars Vogt, der eigentlich ein großer Russlandfan ist. Er hat die Gastfreundschaft und den Humor der russischen Menschen lieben gelernt. Doch mit Leuten, die sich offen für Putin positionieren, könne er nichts anfangen. "Ich weiß nicht, wie ich mit ihnen umgehen soll und dann möchte ich einfach auch nicht mit ihnen musizieren."

Russische Künstler jetzt nicht fallen lassen

Anders als Lars Vogt hat der renommierte estnische Dirigent Paavo Järvi noch am 28. Februar ein Konzert mit dem russischen Jugendorchester in Moskau geleitet. Freunde hatten ihn gedrängt, das Konzert abzusagen und Russland zu verlassen, doch er habe sich nach reiflicher Überlegung anders entschieden, schreibt er auf  seiner Homepage. "Man darf die jungen Menschen nicht für das barbarische Vorgehen ihrer Regierung bestrafen." Schließlich seien sie genauso schockiert und gegen den Krieg wie er selbst. Järvi verurteilt entschieden das Vorgehen der russischen Regierung.

Sergei Loznitsa im Kinosaal.
Dokumentarfilme Sergei Loznitsa warnt davor russische Filme bei Wettbewerben zu boykotierenBild: Angel Navarrete/El Mundo/imago images

Dass auch regimekritische russische Künstlerinnen und Künstler vom ausländischen Boykott betroffen sind, moniert der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa. Ihm geht der Aufruf zum Boykott russischer Filme seitens der Europäischen Filmakademie zu weit. "Was vor unseren Augen passiert, ist schrecklich, aber ich bitte Sie, nicht in Wahnsinn zu verfallen. Wir dürfen Menschen nicht nach ihren Pässen beurteilen." Es zählten nur die Taten. "Ein Pass ist an den Ort gebunden, an dem wir zufällig geboren wurden, während eine Handlung das ist, was ein Mensch freiwillig tut", so Loznitsa in einem Brief an die Verantwortlichen der EFA.

Keine Gewissensprüfung für Künstler?

Die Starsopranistin Anna Netrebko verurteilt zwar den Krieg, distanziert sich aber nicht von Putin. Um Kritik an ihrer Haltung zu umgehen, hat sie am 1. März bekanntgegeben, zunächst nicht mehr aufzutreten. Mittlerweile wäre das an einigen Häusern auch gar nicht mehr möglich. Viele Opernhäuser, darunter zuletzt die MET in New York, haben die Zusammenarbeit mit Netrebko ausgesetzt. Der Boykott russischer Künstler kann bis hin zu Entlassungen führen. So trennten sich die Münchener Philharmoniker von ihrem russischen  Chefdirigenten Valery Gergiev, der zur Aufforderung, sich von seinem Freund Putin zu distanzieren, geschwiegen hatte.

Julian Nida-Rümelin, der Philosoph und ehemaliger Kulturstaatsminister der Bundesregierung, sieht das kritisch. Es sei strikt gegen eine Gesinnungsprüfung für Künstlerinnen und Künstler, sagte er im Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk. "Das Verhältnis zu russischen Künstlern, zur russischen Kultur zu schädigen, das finde ich ganz falsch. Denn wir müssen - und das gehört zu einer Gesellschaft dazu - unterschiedliche Meinungen aushalten können." Er hätte Valery Gergiev nicht entlassen und ihm erst gar nicht die Gewissensfrage gestellt.

Das Recht auf Meinungsfreiheit

Vladimir Putin und Dirigent Waleri Gergijew bei einer Gala.
Gilt seit langem als Freund und Befürworter Vladimir Putins: Der bisherige Chefdirigent der Münchener PhilharmonikerBild: Mikhael Klimentyev/Planet Pix/Zuma/picture alliance

Ist der Rauswurf des Dirigenten denn rechtens? Die Meinungsfreiheit ist in Europa und gerade in Deutschland vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur ein hohes Gut und im Grundgesetz verankert. "Der Chef kann einen Musiker nicht zwingen, etwas Politisches zu sagen, hinter dem er nicht steht", sagt der Kölner Medienanwalt Christian Solmecke gegenüber der DW. Das Recht auf Meinungsfreiheit erlaube Valery Gergiev, seine Haltung zu verschweigen oder nur indirekt zu äußern.

Allerdings dürfe man als Arbeitnehmer auch außerhalb des Dienstes dem Arbeitgeber keinen Schaden zufügen. "Diese sogenannte Treuepflicht kann sich letztlich auch auf die öffentliche Positionierung in einer weltpolitischen Angelegenheit ausdehnen, wenn die politische Haltung geeignet ist, die Reputation des Arbeitgebers zu schädigen." In diesem Fall wäre es rechtmäßig, ein Arbeitsverhältnis zu beenden. "Wenn sich ein leitender Angestellter wie Herr Gergiev als Chefdirigent in der Öffentlichkeit weigert, sich vom Angriffskrieg Russlands zu distanzieren, kann eine derartige Extremhaltung im Ausnahmefall eine Kündigung rechtfertigen." Allerdings habe Gergiev geschwiegen und sich gar nicht geäußert und das wäre eine Sache, die nur vor Gericht zu klären sei.

So bleibt es in Deutschland vor allen Dingen eine moralische Frage, den Krieg in der Ukraine zu verurteilen. Dazu hat der in Russland geborene Pianist und politische Aktivist Igor Levit eine klare Haltung auf Instagram gepostet:

"Musiker zu sein befreit dich nicht davon, Bürger zu sein und Verantwortung zu übernehmen." Es sei inakzeptabel sich nicht gegen die Politik eines Staatsoberhauptes aus der eigenen Heimat zu positionieren, der einen Krieg gegen ein anderes Land beginnt, so Levit. Man dürfe sich nicht hinter der Musik und dem Musikerdasein verstecken.