25 Jahre Brandanschlag von Mölln
23. November 2017Was muss das für ein Spaß gewesen sein für ihn, vorher, die Möllner Hauptstraße runter zu gehen? Der junge Faruk Arslan scheint immer wieder durch, wenn der gegenwärtige 53 Jahre alte Mann in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt unterwegs ist. Eine Tante läuft ihm entgegen, Küsschen links und rechts, ein flapsiges Kompliment über ihr Kopftuch, drüben vor dem Friseurladen zwei Neffen, Winken, Lachen. Idyllische Fachwerkhäuser mit roten Ziegelsteinen zwischen den Balken. "Ich habe hier 32 Jahre lang gelebt, Mölln ist eine der schönsten Städte überhaupt", sagt er mit seiner tiefen samtig-rauen Stimme. Dann biegt er rechts ab, runter zur Mühlenstraße. Arslans Gesicht verliert jeden Ausdruck. Das Sträßchen endet direkt vor dem Haus, in dem vor 25 Jahren seine zehnjährige Tochter Yeliz, seine Mutter Bahide und seine Nichte Ayse starben - durch einen Brand, den Neonazis gelegt haben.
Faruk Arslan bleibt vor der Tür des Hauses stehen. Hier haben sie gewohnt. Rechts ist eine Gedenktafel angebracht mit den Namen der Toten. "Den Schmerz begreift nur jemand, der ihn selbst erlebt hat und er wird nicht schwächer," murmelt er mit hochgezogenen Schultern. Über der Tür zieht sich ein tönernes Ornament zum Giebel, das Flammen und Wasser darstellt. Es soll erinnern an die Nacht zum 23. November 1992. In der legen die beiden rechtsradikalen Täter Feuer in zwei Möllner Wohnhäusern und melden sich telefonisch bei der Feuerwehr mit "Heil Hitler". Am ersten Brandherd können sich die Bewohner retten. Im Haus der Arslans brennt der Flur und das Treppenhaus. Einige Familienmitglieder schaffen es über die Fenster nach draußen. Faruk Arslan war bei seinem Bruder zu Besuch und eilt zum Unglücksort. "Meine Tochter war auf der Krankenliege und hat noch einmal 'Papa' gesagt, das war das Letzte, was ich von ihr gehört habe", sagt er. Sein siebenjähriger Sohn Ibrahim überlebte die Flammen - der Großvater hatte ihn in feuchte Tücher eingewickelt. Faruk Arslan wird seit 20 Jahren psychologisch betreut.
Als sich der braune Mob wieder offen zeigte
Der Mordanschlag von Mölln im November 1992 war eine weitere schreckliche Eskalation in einer ganzen Reihe von rechtsradikalen Gewalttaten in der frisch wiedervereinigten Bundesrepublik. Der Mob vor dem Vertragsarbeiter-Wohnheim in Hoyerswerda, die johlende Menge vor der brennenden Unterkunft in Rostock-Lichtenhagen. Aber das war in den neuen Bundesländern und niemand dabei umgekommen. Jetzt gab es drei Tote. Besorgte Schlagzeilen über den braunen Sumpf in Deutschland, der wohl nie austrocknet und trotzige Ernüchterung im Inland. Nach Mölln demonstrierten im ganzen Land viele Zehntausende gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die Bundesanwaltschaft zog diesmal die Ermittlungen an sich. Die Täter wurden dann für 15 und zehn Jahre eingesperrt. Der Fall war geklärt, aber die Stadt Mölln hat seither ein Imageproblem - und eine Aufgabe.
Jan Wiegels hat die Brandnacht nicht in Mölln erlebt. Damals hat er in Düsseldorf gelebt. Seit 2010 Jahren ist der sportlich-schlanke Möllner Bürgermeister. Er will seine Kommune lieber als fröhliche "Eulenspiegel-Stadt" sehen, weil der berühmte Narr hier gestorben sein soll. Aber: "Das stimmt schon, wenn ich außerhalb Schleswig-Holsteins unterwegs bin, dann assoziiert man mit Mölln überwiegend den Brandanschlag", stellt er fest und legt dabei seine großen schlanken Hände flach auf die Resopalplatte des Besprechungstisches in seinem Büro. "Das gehört jetzt zur neueren Geschichte der Stadt." Deswegen müsse man sich damit auch auseinandersetzen.
Wiegels beschreibt, wie intensiv man sich mit Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit beschäftige und aufkläre. "So etwas soll es nicht noch einmal geben - nicht in Deutschland und schon gar nicht in Mölln", mahnt der Bürgermeister. Zentral im Gedenken Möllns ist die alljährliche Gedenkveranstaltung im November. Da sei immer wieder, besonders bei den "runden Gedenktagen", viel Prominenz zugegen. "Diesmal kommen der türkische Botschafter, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, türkische Politiker, ein Innenstaatssekretär", zählt Wiegels auf. Daneben gibt es Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen. Wie erfolgreich die Stadt bei diesem Bemühen ist, lässt sich schwer messen. Wenn es als Gradmesser taugt: In Mölln wählen auch nicht weniger Bürger die fremdenfeindlichen Rechtspopulisten von der AfD, als in den Gemeinden drum herum.
Die Hoheit über das Gedenken
Die Möllner Erinnerungskultur hat auch ihre Kritiker. Da gibt es die, die meinen, dass Mölln einen besonders zähen braunen Bodensatz hat und dass die Stadt nicht genug dagegen tue. Natürlich findet man auch diejenigen, die sagen, dass irgendwann mal Schluss sein muss mit dem Erinnern an die grausigen Stunden. Und es gibt engagierte Leute, die meinen, dass es den Opfern überlassen bleiben sollte, das Gedenken zu organisieren. Es gibt deswegen auch die Veranstaltung "Möllner Rede im Exil", die Faruk Arslans Sohn Ibrahim zusammen mit einem Freundeskreis organisiert. Diesmal fand sie in Berlin statt, nächstes Jahr wird sie in Wien veranstaltet.
Faruk Arslan hat seinen Frieden gemacht mit dem öffentlichen Gedenken in Mölln. Zumindest damit. Neben dem Haus in dem seine Familienangehörigen umgebracht worden sind, führt ein "Bahide-Arslan-Gang" über den Wallgraben hinein in den Kurpark. Arslan deutet auf das blaue Schild. "Da haben die sich lange geweigert hinzuschreiben, wie meine Mutter gestorben ist", sagt er. Inzwischen erklärt ein schmaler Zusatz darunter, dass der Name auf Bahide Arslan, "ermordet bei einem rassistischen Brandanschlag" zurückgeht. Er sieht es als eine Verpflichtung gegenüber seiner toten Mutter an, sich gegen Rechtsradikale einzusetzen. "Meine Mutter hat so viel für die Leute hier getan, sie war eine starke Frau", erinnert sich Faruk Arslan. Einer der Nazi-Täter ging in ihrem Laden ein und aus, war mit seiner Schwester in einer Klasse. "Es ist einfach nicht zu fassen, dass das solche Idioten waren, denen wir sogar zu essen gegeben haben!"