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Brasilianer wird neuer Chef der FAO

26. Juni 2011

Der Kampf der Vereinten Nationen gegen den Hunger hat ein neues Gesicht: Der Brasilianer José Graziano da Silva wird neuer Chef der Welt-Ernährungsorganisation FAO. Er setzte sich gegen fünf andere Kandidaten durch.

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José Graziano da Silva nach seiner Wahl zum neuen FAO-Generaldirektor (Foto: dapd)
Umjubelter neuer FAO-Chef: José Graziano da SilvaBild: dapd

Der 61-jährige Wirtschaftsprofessor und frühere brasilianische Minister für Lebensmittelsicherheit wurde auf einer FAO-Konferenz in Rom am Sonntag (26.06.2011) als Nachfolger des Senegalesen Jacques Diouf gewählt. Er ist der erste Südamerikaner, der die UN-Organisation zum Kampf gegen den Hunger leitet. Internationale Anerkennung hatte Graziano da Silva vor allem für das brasilianische Null-Hunger-Programm erhalten. Seit 2006 war er bereits stellvertretender Generaldirektor der FAO und zuständig für Lateinamerika und die Karibik. DW-WORLD.DE hat vor der Wahl mit Graziano da Silva über seine Vorschläge und Erfahrungen im Kampf gegen den Hunger gesprochen.

DW-WORLD.DE: Brasilien gilt seit einigen Jahren als Vorbild bei der Bekämpfung von Hunger. In der Regierung Lula hatten Sie mit Ihrem Null-Hunger-Programm maßgeblichen Anteil daran. Wie können Sie diese Erfahrung in die FAO einbringen?

José Graziano da Silva: Es gibt keine Einheitsformel, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Die FAO müsste sich in diesem Sinne dezentralisieren und enger mit den einzelnen Ländern zusammenarbeiten.

Ein kleiner Junge greift in eine Metallschüssel in einem Flüchtlingsdorf in der Nähe von Gulu in Uganda (Foto: dpa)
Halbierung von Hunger und Armut - die Millenniums-Ziele wird die Welt bis 2015 nicht erreichenBild: dpa

Das Null-Hunger-Programm in Brasilien war erfolgreich, weil wir das Rad nicht neu erfunden haben. Wir sprechen hier nicht über den Einsatz von Hochtechnologie, sondern darüber, den Hunger zu bekämpfen. Das Wissen der Mütter und Großeltern um eine richtige Ernährung ist mit der rasanten Verstädterung verloren gegangen - das galt es zurückzugewinnen.

Es geht darum, die vorhandenen Produkte besser zu nutzen, Schulgärten und Auffangbecken für Regenwasser anzulegen und die familiäre Landwirtschaft zu unterstützen: das sind die Haupterzeuger von Lebensmitteln. Die Ernährungssicherheit wird dort gewährleistet, wo Menschen leben und arbeiten. Das sind die Grundlagen des Null-Hunger-Programms. Das war im Übrigen kein Regierungs-Programm, sondern vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der die Zivilgesellschaft, soziale Organisationen, die Kirchen, die Fußballvereine und - ganz wichtig - der Privatsektor zusammengearbeitet haben.

Sie sind seit 2006 bei der FAO zuständig für Lateinamerika. Sind die Ursachen für den Hunger in der Region vergleichbar mit anderen Kontinenten?

Nein. In Lateinamerika stehen wir zwar kurz davor, künstliches Leben im Labor zu erschaffen, aber wir haben es bislang nicht geschafft, die erste Herausforderung der Menschheit zu bewältigen: das tägliche Brot zu garantieren. In Lateinamerika gibt es drei Hauptursachen für den Hunger. Erstens waren die Regierungen nur auf Nothilfe vorbereitet, hatten aber die Ernährungssicherheit nicht auf dem Schirm. Als Minister musste ich einmal Wasser für einen indigenen Stamm einkaufen, dessen Brunnen vergiftet war. Dabei habe ich festgestellt, dass dafür eine öffentliche Ausschreibung notwendig war, die in drei Zeitungen landesweit veröffentlicht werden muss. Erst nach 30 Tagen hätten wir dann eine Entscheidung fällen können - die dann nicht mehr nötig gewesen wäre, da die betroffenen Menschen in dem Zeitraum verdurstet wären. Das hat sich geändert. Die Regierungen verfügen über mehr Handlungsspielraum, um das Problem zu bekämpfen.

Infografik Welthungerindex (Grafik: DW)

Zweitens mangelt es den Staaten an den nötigen Steuereinnahmen, um eine effektive Sozialpolitik zu finanzieren. Das sind keine Ausgaben, sondern Investitionen, in Bildung oder Hungerbekämpfung zum Beispiel.

Und drittens haben viele Länder die Landwirtschaft vernachlässigt. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind in den letzten Jahren, als die Preise niedrig waren, dazu übergegangen, Nahrungsmittel zu importieren. Doch als die Weltmarktpreise wieder anzogen, mussten diese Länder entdecken, dass der große, gut gefüllte Weltsupermarkt nicht existiert, denn die reichen Länder haben ihre Nahrungsmittelexporte in der Krise zurückgefahren.

Ist Hungerbekämpfung also eine Frage des Geldes?

Brasilien investiert derzeit 0,4 Prozent seines Bruttoinlandproduktes in das Null-Hunger-Programm. 30 Millionen Menschen haben so innerhalb von sechs Jahren die Armut überwunden und verfügen jetzt über drei Mahlzeiten pro Tag. Nahrungsmittel sind preisgünstig, wenn man sie lokal einkauft. Was sie verteuert, sind Transportkosten und industrielle Verarbeitung.

Welche Auswirkungen haben die hohen Weltmarktpreise für Lebensmittel auf die Arbeit der FAO?

Wir sind die größte UN-Organisation mit 191 Mitgliedsländern. Die FAO ist aber keine Finanzinstitution, sondern eine Verhandlungsplattform. Wir sprechen Empfehlungen aus, stellen technische Hilfe zur Verfügung und untersuchen langfristige Entwicklungen. Unsere Prognose ist, dass die Preise bis 2020 auf einem hohen Niveau bleiben werden, da die Nachfrage in den Entwicklungsländern weiter steigen wird: die Armen essen mehr.

Ein Farmer auf dem Feld (Foto: CC/United Nation Photos)
"Lebensmittel sind da preiswert, wo sie produziert werden."Bild: CC/United Nation Photos

Der Preisanstieg ist ein globales Problem, das die Demokratie bedroht. Das haben wir bei den Unruhen in Haiti oder Ägypten gesehen. Auslöser waren Proteste gegen Preissteigerungen, die soziale Unruhen und politische Instabilität verursacht haben. Nicht nur der Mangel an Demokratie, sondern der Mangel an Nahrungsmitteln bzw. der fehlende Zugang zu Nahrungsmitteln bedrohen die Stabilität vieler Staaten. Die Ernährungssicherheit ist längst genauso wichtig wie der Kampf gegen den Terrorismus und die Sicherung der nationalen Souveränität – also eine zentrale staatliche Aufgabe.

Inhalt des von der UN verkündeten Millenniums-Entwicklungsziels ist, die Armut in der Welt bis 2015 zu halbieren. Wie weit sind wir noch von diesem Ziel entfernt?

Sollte ich an die Spitze der FAO gewählt werden, endet meine Amtszeit genau 2015. Es ist klar, dass viele Länder, vor allem die ärmsten, die Ziele verfehlen werden. Mein Vorschlag ist, dass sich die FAO mit diesen Ländern an einen Tisch setzt, um ihnen bei der Ausarbeitung eines Plans zu helfen. Das Ziel sollte aber nicht nur die Halbierung des Hungers sein.

Die Bekämpfung des Hungers ist eine Frage des politischen Willens. Es geht nicht um technische Lösungsansätze, sondern um die Beteiligung der Bevölkerung, vor allem der armen Bevölkerungsgruppen. Da es sich aber vielfach um "unsichtbare" Menschen handelt, um Menschen, die in keinem Melderegister auftauchen, die keine Papiere haben, ist es kompliziert, an sie heranzukommen. Viele Regierungen denken, die Bekämpfung des Hungers sei mit der Verteilung von Geld und Lebensmitteln zu bewerkstelligen. Aber das ist der falsche Ansatz.

Das Interview führte Nádia Pontes
Redaktion: Mirjam Gehrke/Frank Wörner