Brasilien: 30 Jahre Demokratiebewegung
Massenproteste wie jüngst beim Confed-Cup gehören zur politischen Kultur Brasiliens. Es begann vor 30 Jahren, als Millionen von Menschen noch während der Militärdiktatur für freie Wahlen auf die Straße gingen.
"Wir wollen wählen!"
1983 trieb die Sehnsucht nach freien Wahlen in Brasilien Millionen von Menschen auf die Straße. In der Endphase der langjährigen Militärdiktatur (1964 bis 1985) begannen vor 30 Jahren die ersten Massendemonstrationen im Land. Der Widerstand gegen die politische Repression entwickelte sich zu einer nationalen Bürgerbewegung. Die Forderung lautete: "Diretas Já" - Freie Wahlen jetzt!
Erst streiken, dann regieren
Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Mitte) war einer der Anführer der Bewegung. Mit Gewerkschaftlern und Linksintellektuellen gründete er 1980 die brasilianische Arbeiterpartei PT. Seine Festnahme im selben Jahr wurde zum Politikum: Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt forderte seine Freilassung und machte diese zur Bedingung für seinen Staatsbesuch in Brasilien.
Aufstand der Anständigen
Zu den Forderungen der Demonstranten gehörten nicht nur freie Wahlen, sondern auch die Umverteilung von Land und die Befreiung von Auslandsschulden. Die größte Kundgebung der Bewegung ereignete sich am 25. Januar 1984 im Stadtzentrum von Sao Paulo mit rund 1,5 Millionen Menschen. Unter den Anführern war nicht nur der Gewerkschaftsführer Lula, sondern auch der späterere Präsident Fernando Cardoso.
Demokratisch, aber korrupt
Nur drei Jahre nach den ersten freien Wahlen begehrt das brasilianische Volk erneut auf. Diesmal richtet sich die Wut gegen den damaligen Präsidenten Fernando Collor de Mello. Denn ausgerechnet dem jungen Politiker aus dem Nordosten, der mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne 1989 die ersten freien Wahlen gewann, wird Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
Farbe bekennnen
Aus Protest gegen Präsident Fernando Collor de Mello bemalten brasilianische Studenten ihre Gesichter in den Nationalfarben grün und gelb. Die Demonstrationen der "caras pintadas", der bemalten Gesichter, wurden zum Symbol der landesweiten Protestwelle, die 1992 zur ersten verfassungsmäßigen Amtsenthebung in ganz Lateinamerika führte.
Legaler Rauswurf
Die erste verfasssungsgemäße Amtsenthebung Lateinamerikas verlief dramatisch, aber ohne Gewalt: Am 29. September 1992 stimmte der brasilianische Kongress mit 441 zu 38 Stimmen für die Absetzung von Präsident Collor. Dieser weigerte sich in einer historischen Fernsehansprache, das Votum anzuerkennen. Am 29. Dezember 1992 gab er seinen Widerstand auf und trat vom Amt des Staatspräsidenten zurück.
Widerstand und Wahrheit
Erst im Widerstand, dann im Regierungspalast: Bei der Gründungszeremonie der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Verbrechen während der Militärdiktatur am 16. Mai 2012 in Brasília kamen die ehemaligen Vorkämpfer für freie Wahlen erneut zusammen: Ex-Präsident Lula da Silva (2.v.l.), Staatschefin Dilma Rousseff (3.v.l.) und Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso (3.v.r.).
Kollektiver Wutausbruch
Eine Fahrpreiserhöhung von umgerechnet zehn Cent brachte die Brasilianer auf die Barrikaden. Kurz vor dem Beginn des Confed-Cups im Juni 2013 löste die Verteuerung von Busfahrscheinen in mehreren brasilianischen Großstädten die größte Protestwelle im Land seit dem Ende der Militärdiktatur aus. Denn hinter der Wut über teure Tarife offenbarte sich die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung.
Basta Brasília!
"Brasilien, wach auf!" lautet die Parole der Demonstranten, die am 20.Juni 2013 durch die Innenstadt von Rio ziehen. Sie fordern Schulen und Krankenhäuser auf "FIFA"-Niveau und das Ende von Korruption und Gewalt. Politiker und Regierungsvertreter sind bei den Kundgebungen nicht willkommen. Denn von ihren unerfüllten Versprechungen sind die Demonstranten enttäuscht.
Last der Vergangenheit
Auch mehr als 20 Jahre nach den ersten freien Wahlen kommt in Brasilien immer noch die Militärpolizei zum Einsatz. Während der Diktatur verfolgten die Uniformierten "Subversive", heute sind sie für Verkehrskontrollen und Verbrechensbekämpfung zuständig. Bei den jüngsten Protesten gingen die gefürchteten Ordnungshüter mit Gummigeschossen, Tränengas und Pfefferspray gegen die Demonstranten vor.