Brasilien debattiert Asyl für Snowden
19. Dezember 2013"Wenn Edward Snowden hier in Brasilien wäre, dann könnten wir den Abhörskandal, der nicht nur hier, sondern weltweit für Entrüstung gesorgt hat, komplett aufklären", sagte Senator Ricardo Ferraço gegenüber der brasilianischen Presse. Ferraço ist Berichterstatter der Parlamentarischen Untersuchungskommission des Senats in Brasília, die den Lauschangriff auf Präsidentin Dilma Rousseff und den Mineralölkonzern Petrobras verfolgt.
Andere Abgeordnete schlossen sich der Aufforderung nach Asyl für den Ex-Agenten an. "Snowden hat sich für die Meinungsfreiheit eingesetzt. Wir müssen ihm diese aus Dank für seine mutigen Enthüllungen auf unserem Territorium garantieren", fordert Senator Roberto Requião in einer offiziellen Stellungnahme des brasilianischen Senates.
Die Debatte über politisches Asyl für Edward Snowden ist neu entbrannt, seit die brasilianische Tageszeitung "Folha de Sao Paulo" am Dienstag einen offenen Brief des Ex-NSA-Mitarbeiters "an das brasilianische Volk" veröffentlichte. Darin hatte er erklärt, die US-Regierung behindere seine Bemühungen zur Aufklärung der weltweiten NSA-Spionage mit allen Mitteln.
Missverständnisse und Dementi
"Bis mir ein Land dauerhaft Asyl gewährt, wird Washington versuchen, mich am Reden zu hindern", heißt es in dem Brief. Snowden hatte bereits im Juli 2013 Asyl in 21 Ländern beantragt, darunter auch Brasilien. Staatspräsidentin Dilma Rousseff hat sich bisher nicht zu dem Gesuch geäußert. Im August 2013 gewährte Russland dem "Whistleblower" für ein Jahr Asyl.
Nicht nur die Zeitung "Folha de Sao Paulo", auch internationale Medien interpretieren den Brief Snowdens als ein erneutes Asylgesuch. Doch der in Rio wohnende US-Journalist Glenn Greenwald, der die explosiven Dokumente des Whistleblowers Mitte des Jahres in der britischen Tageszeitung "Guardian" veröffentlicht und damit den Skandal losgetreten hatte, dementierte umgehend. Der Brief sei missverstanden worden, erklärte er gegenüber der Presse. Snowden hätte lediglich erläutert, warum er zum jetzigen Zeitpunkt die Anfragen aus Brasilien nicht beantworten und weiterhelfen könne.
Presse unterstützt Asyl
Für den brasilianischen Meinungsforscher Valeriano Costa beschränkt sich die Asyldebatte auf die intellektuelle Mittelschicht und die Medien. "Der Diskurs ist sehr elitär", befindet Costa, der an der renommierten Universität "Unicamp" in Campinas Soziologie lehrt, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Vor allem unter den Journalisten in Brasilien befänden sich viele Befürworter für Snowdons Asyl.
Die schleppende Asyl-Kampagne für den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter bei der internationalen Nichtregierungsorganisation Avaaz scheint Costas Skepsis zu bestätigen. Denn bisher haben erst 8500 Personen die Online-Petition für die Gewährung von politischem Asyl für Snowden unterzeichnet, wie Greenwalds Lebenspartner David Miranda mitteilte.
Humanitäre Tradition
Nach Einschätzung von Meinungsforscher Valeriano Costa ist die Asyldebatte allerdings trotz der bisher ablehnenden Haltung der brasilianischen Regierung noch nicht abgeschlossen. "Wenn das Asyl im kommenden Jahr ausläuft und Snowden nicht weiß, wo er hingehen kann, dann wird ein neuer Ton in die Verhandlungen kommen", prognostiziert er. "Dann wird aus einer politischen Provokation Brasiliens gegenüber den USA eine humanitäre Frage".
Dies könne dazu führen, so Costa, dass die Regierung ihre Position ändere. Schließlich habe Brasilien eine lange Tradition bei der Aufnahme politisch verfolgter Flüchtlinge aufzuweisen. "Wenn es um humanitäre Hilfe geht, wäre es nur konsequent, wenn Brasilien Snowden aufnimmt", meint Costa.
Auch in Deutschland wird über ein mögliches Asyl für Snowden gestritten. Nach dem überraschenden Treffen des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele mit dem Ex-NSA-Mitarbeiter in Moskau Anfang November fordern viele Politiker und Prominente, Snowden in Deutschland aufzunehmen. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte dem jedoch eine Absage erteilt und auf den Vorrang des transatlantischen Bündnisses verwiesen.
Brasilien und Deutschland sind von den NSA-Lauschangriffen besonders stark betroffen. Sowohl Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wurden von der NSA abgehört. Im Oktober brachten beide Staaten eine gemeinsame UN-Resolution auf den Weg, die den Schutz privater Daten im digitalen Zeitalter weltweit vorantreiben soll.