Brasilien droht Pharmariesen
30. Juni 2005"Kaletra" - der Name mit dem Klang griechischer Halbgöttinnen hat seinen Preis. 2628 US-Dollar kostet in Brasilien die Behandlung mit dem so genannten Aids-Präparat aus dem Hause Abbott. 2628 Dollar pro Patient und Jahr. Zu viel für die brasilianische Regierung. Sie droht dem US-Pharmakonzern, auf den edlen Markennamen zu verzichten und das Präparat selbst herzustellen. Das Wissen und die technischen Möglichkeiten haben die Brasilianer: Das staatliche Pharmalabor "Fiocruz" in Rio de Janeiro könnte das Medikament für die Hälfte produzieren, erklärte die brasilianische Regierung.
Billiger in Afrika
Gesundheitsminister Humberto Costa hat am 25. Juni "Kaletra" zum "Medikament von öffentlichem Interesse erklärt". Nach diesem Erlass könnte die lokale Produktion beginnen, wenn sich Abbott nicht auf den Preis einlässt, zu dem die brasilianische Firma "Farmanguinhos" das Medikament anbieten kann. Was die brasilianische Regierung auf Konfrontationskurs mit dem Pharmariesen bringt: Abbott bietet das gleiche Medikament in Afrika zu einem Bruchteil des brasilianischen Preises an.
Abbott-Sprecher Hans Joachim Fischer bestätigt, dass Kaletra in Afrika für 500 Dollar verkauft wird. Das seien jedoch Sonderkonditionen für Entwicklungsländer, die mehrere Pharmaunternehmen mit der Weltgesundheitsorganisation ausgehandelt haben. "Außerhalb dieses Programms ist der Preis in Brasilien der niedrigste", sagt Fischer. Der Markt in dem südamerikanischen Land sei ein Verlustgeschäft. Die Brasilianische Regierung hält dagegen: Der Konzern verdiene an jedem Patienten 2000 Dollar im Jahr. Verlustgeschäft hin oder her, Abbott will sich auf Verhandlungen einlassen. "In den nächsten zehn Tagen wird sich etwas tun. Bisher sind wir mit der Regierung immer zu einer Lösung gekommen."
WTO erlaubt es
Der brasilianische Präsident Lula da Silva legt sich nicht zum ersten Mal mit den Pharmakonzernen an. Seit 1999 ist der Preis für die Medikamente im Kampf gegen das HI-Virus auf die Hälfte zurückgegangen. Die Regierung drohte mit Zwangslizenzen - die Pharmakonzerne gaben im Preis nach. Wollen sie die Herstellung von Generika verhindern, bleibt ihnen wohl auch keine andere Möglichkeit. Denn rechtlich sind die Zwangslizenzen zum Nachmachen kein Problem: Die Welthandelsorganisation und das internationale Patentrecht lassen Ausnahmeregelungen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu. Bei öffentlichem Interesse und Versorgungsnotstand dürfen die WTO-Mitglieder günstige Nachahmerprodukte herstellen, wenn sie sich mit den Unternehmen zuvor nicht auf akzeptable Verkaufspreise einigen konnten.
Organisationen wie das "Aktionsbündnis gegen Aids" würden das begrüßen: "Es wäre ein wichtiger Präzedenzfall, wenn zum ersten Mal ein WTO-Mitglied eine Zwangslizenz erwirken würde", sagt Sprecherin Katja Roll. "Andere Schwellenländer würden nachziehen und die Kaletra-Wirkstoffe ebenfalls produzieren." So könnten die Preise für die lebenswichtigen Aids-Präparate auch in Afrika weiter sinken. Dort liegen die Preise für die günstigsten Aids-Medikamente schon jetzt bei knapp 200 Dollar - für Nachahmerprodukte aus Indien. Die Wirkstoffe von Kaletra gibt es dagegen bisher nur im teuren Original. Dabei gilt das Medikament als besonders wirksam und ist gut verträglich.
Doch auch die schon vorhandenen Billig-Medikamente sind für die meisten infizierten Menschen in Afrika noch zu teuer. Nur vier Prozent der Aids-Patienten können sich eine Behandlung leisten.
Vorbild Brasilien
Anders in Brasilien: Dort garantiert der Staat allen HIV-Infizierten eine kostenlose Behandlung. 170 000 Brasilianer werden derzeit in einem staatlichen Programm mit dem lebenswichtigen Anti-Aids-Cocktail versorgt. "Brasilien ist in der Aidsbekämpfung ein Vorbild für andere Länder des Südens", sagt Katja Roll. "Deswegen ist es umso wichtiger, dass das Land Kaletra demnächst tatsächlich selbst produziert."