Deutsche Autoindustrie mit Problemen
16. Juli 2019Auf allen relevanten Märkten verzeichnen die deutschen Autobauer Umsatzrückgänge. Daimler hat in der vergangenen Woche bereits die zweite Gewinnwarnung des Jahres ausgesprochen und die Zulieferer beklagen die immer dünner werdende Luft im Autogeschäft. Stefan Bratzel ist Direktor des unabhängigen Center of Automotive Management an der Fachhochschule Bergisch Gladbach und beobachtet die Branche seit vielen Jahren.
DW: Herr Bratzel, täuscht der Eindruck, dass es der deutschen Autoindustrie im Augenblick gar nicht gut geht?
Stefan Bratzel: Der Eindruck täuscht leider nicht. Die deutsche Autoindustrie hat enorme konjunkturelle Probleme, sie verzeichnet Absatzrückgänge und Rückgänge in der Produktion. Es trifft nicht nur die deutsche Autoindustrie. Was so ein bisschen in den letzten Monaten außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung war, dass schon im letzten Jahr die Produktion in Deutschland um neun Prozent zurückgegangen war und in der ersten Jahreshälfte sogar zweistellig mit zwölf Prozent im Minus lag. Also wir haben aktuell schon größere Probleme in der Automobilindustrie.
Nun scheint der Umstieg auf die Elektromobilität das Thema des Tages zu sein. Ist es tatsächlich dieser Punkt, der die Autoindustrie am meisten umtreibt?
Ja. Wenn wir tatsächlich in die Zukunft schauen, uns die Transformation anschauen, dann ist das Thema der Elektromobilität sicherlich das, was mich am meisten umtreibt, was auch am meisten Geld kostet und wo sich Konzerne in ihrer Performance stark unterscheiden. BMW hatte ja tatsächlich zumindest unter den deutschen Herstellern einen Vorsprung beim Thema Elektromobilität. Aber man muss klar sagen: Das wurde in den letzten Jahren verspielt, weil es eine gewisse zögerliche Haltung bei BMW gab, wie man da weiter vorankommen wollte. Dadurch ist BMW zurückgefallen. Andere deutsche Hersteller wie Volkswagen, aber auch Daimler, sind mittlerweile mindestens mit BMW gleichgezogen.
Dieser Neuanfang, dieser Technologiewechsel, braucht vor allem Geld. Wenn wir jetzt zum Beispiel auf Volkswagen schauen, muss man sagen: Die haben in den letzten Jahren richtig viel Geld ausgegeben, nämlich 30 Milliarden Euro wegen des Dieselskandals. Verfügen die Autobauer überhaupt noch über genügend Mittel für ein so großes Abenteuer?
Es ist ja nicht nur das Thema Elektromobilität, es geht in diesem Transformationsprozess auch um das autonome Fahren und um Dienstleistungen rund um die Mobilität. Das kostet jede Menge Geld und man muss auch wissen, dass der Return on Invest erst in ein paar Jahren zu erwarten ist, wenn alles gut geht. Es ist ein risikoreiches Management und in der Tat haben nicht alle Hersteller genügend Geld, um das Thema Elektromobilität etwa wie VW mit solcher Vehemenz voranzutreiben. Deswegen wird es auch in nächster Zeit Kooperationen geben, auch im Bereich der Elektromobilität. So ähnlich wie wir das zuletzt gesehen haben.
Sie zielen auf die kürzliche Einigung zwischen Volkswagen und Ford in Sachen Elektromobilität und autonomes Fahren. Nun besteht ein Elektromotor aus dramatisch weniger Einzelteilen als ein Verbrenner. So könnte doch die Produktion dieser neuen Antriebsformen auch eine Menge Arbeitsplätze kosten?
Das ist völlig richtig. Und da darf man den Menschen nichts vormachen. Die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zum Elektroauto wird Arbeitsplätze kosten. Wir rechnen damit, dass in Deutschland bis zum Jahr 2030 in einer Größenordnung von 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze in der Branche verloren gehen werden. Das ist sicherlich ein Thema, das man vielleicht sogar sozial abfedern muss, weil wir haben es hier mit im schlimmsten Fall Hunderttausenden von Arbeitsplätzen zu tun, die dann wegfallen werden.
Ist es vor diesem Hintergrund also eine geschickte Strategie von VW, bei der Transformation fast ausschließlich auf batteriebetriebene Fahrzeuge zu setzen und die Brennstoffzelle der Konkurrenz zu überlassen?
Ich glaube, dass zunächst es ganz sinnvoll ist, erst einmal zu sagen: Wir müssen jetzt das Thema der Batterie bei elektrischen Mobilität vorantreiben und dort die Kräfte fokussieren. Weil die weiteren Technologien, wie etwa die Brennstoffzelle, erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts so weit ist, dass man da erkleckliche Stückzahlen verkaufen kann. Aber richtig ist auch: Es ist schon eine Wette auf die Zukunft, dass man so intensiv auf reine Elektromobilität setzt und es ist auch nicht ohne Risiko, weil Volkswagen nicht alleine für die Rahmenbedingungen insbesondere der Ladeinfrastruktur sorgen kann. Da ist auch die Hilfe des Staates und vielleicht auch noch weiterer Akteure notwendig, damit so viele Elektrofahrzeuge verkauft werden können, wie es sich Volkswagen selbst erhofft.
Angesichts der Herausforderungen der Zukunft durch Digitalisierung und E-Mobilität: Wie sind die deutschen Hersteller aufgestellt vor allem im Vergleich zur Konkurrenz in den USA und in China?
Die deutschen Herstellern müssen bei der Elektromobilität Rückstände gegenüber dem ein oder anderen Player aufholen. Das gilt etwa gegenüber Tesla. Das gilt auch gegenüber einigen chinesischen Herstellern, die da schon intensiver tätig sind. Aber ich glaube, man kann auch sagen: Die Rückstände können gut aufgeholt werden. Man muss sich diesem Thema jetzt weiter intensiv annehmen. Etwas anders sieht das vielleicht beim Thema Digitalisierung und Connected Car aus. Hier spielt ja das Thema Software ja eine ganz gewichtige Rolle, etwas, was die deutschen Autobauer zumindest bislang nicht besonders gut können. Hier müssen noch einige Rückstände aufgeholt werden.