BRD & DDR: Retrospektive beim Dok Leipzig 2019
Der Mauerfall jährt sich zum 30. Mal - da lag es nahe, sich mit der deutsch-deutschen Teilung zu beschäftigen. Doch die Kuratoren der Retrospektive haben weit mehr als nur das Jahr 1989 in den Blick genommen.
Bundesrepublik: Wirtschaft und Mode
Im Westen konzentrierte man sich auf das Wirtschaftswunder: Ein Film wie "Düsseldorf - Modisch, heiter, im Wind verspielt" (1961) blickt auf einen Grundpfeiler der Bundesrepublik: die freie Marktwirtschaft. Und wenn das ein Regisseur wie Herbert Vesely inszenierte, den man zum Umkreis des innovativen "Neuen Deutschen Film" zählt, kam dabei weit mehr als ein plattes Image-Filmchen heraus.
BRD-Industrie: "Der heiße Frieden"
Auch Ferdinand Khittl gehörte zum Kreis jener jungen Regisseure, die 1962 mit dem "Oberhausener Manifest" das westdeutsche Kino neu erfinden wollten. Khittl war es, der das Manifest damals vorlas. Sein in Leipzig gezeigter Essay-Film "Der heiße Frieden" von 1965 ist ein philosophischer Imagefilm über Industrie-Produktion und den - damals noch - ungebrochenen Fortschrittsglauben.
DDR: Erinnerungskultur
Im anderen Teil Deutschlands stellte man derweil die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in den Vordergrund - zumindest, wenn es um die Außendarstellung ging. Ein Film wie "Fritz Cremer - Schöpfer des Buchenwald-Denkmals" zeigt den Künstler beim Schaffensprozess. Er stellt seine Arbeit in den Dienst des Staates und der Staatsräson der DDR: Antifaschismus als ideologischer Grundpfeiler.
DDR-Perspektiven: "Der Weg nach oben"
1950, ein Jahr nach Gründung der DDR, drehten Karl Gass und Andrew Thorndike einen Film zum Jahrestag: "Der Weg nach oben". Der Titel deutet an, wohin es geht: Der junge ostdeutsche Staat als Hort des Arbeiter- und Bauernglücks: Das Land geht über von Junkerhand in Bauernhand, die Menschen an der Werkbank arbeiten für ein "besseres" Deutschland.
Filmische Urteile: "Aus dem Alltag in der DDR"
So wie DDR-Filmschaffende im Auftrag des Staates die deutschen Nachbarn im Westen mit filmischen Propagandamitteln herabzusetzen versuchten, so entwickelten auch Regisseure in der Bundesrepublik filmische Formen, um die DDR schlecht aussehen zu lassen. "Aus dem Alltag in der DDR" entstand 1971, geschildert wurde der "Alltag" in der DDR, selbstredend wenig positiv.
Nach dem Mauerfall: "Imbiss Spezial"
Thomas Heise drehte seinen halbstündigen Film "Imbiss Spezial" in der Umbruchszeit, als die DDR sich in Auflösung befand. Im Bahnhof Berlin-Lichtenberg gehen die Menschen aus und ein. Im Hintergrund stets zu hören: Radionachrichten, die amtliche Erfolge und Verlautbarungen melden, die kaum noch der Realität entsprechen. Ein faszinierendes historisches Zeitdokument.
Zwischen Hoffnung und Propaganda: "Der Wirtschaftswunderbaum"
Die Retrospektive des 62. Leipziger Dokumentar- und Animationsfestivals zeigt in zehn thematischen Blöcken, wie staatliches Fernsehen und andere filmische Auftraggeber Aufbau und Wandel zweier deutscher Staaten begleitet haben. Man begegnet auch skurrilen, filmischen Ausgrabungen wie dem dreiminütigen Wahlwerbespot der CDU "Der Wirtschaftswunderbaum", ein Hohelied auf die freie Marktwirtschaft.
Der Mauerfall jährt sich 2019 zum 30. Mal - da lag es nah, sich mit der deutsch-deutschen Teilung zu beschäftigen. Doch die Kuratoren der Retrospektive beim 62. Dok Leipzig haben viel mehr als nur das Jahr 1989 in den Blick genommen. Sie zeigen zwei Staaten im Aufbau und die jeweilige, in vielfältigen Filmdokumenten durchscheinende Staatsräson.