Brexit etwas schöner verpackt
2. Februar 2017Viel schlauer ist die Öffentlichkeit nicht. Premierministerin Theresa May wollte mit einem "Weißbuch" näher erläutern, wie sie sich den Ausstieg aus der Europäischen Union vorstellt und vor allem, was an die Stelle der bisherigen Mitgliedschaft treten soll. Brexit-Minister David Davis stellte einige Einzelheiten des 75 Seiten dicken Weißbuchs vor, aber grundsätzlich Neues gab es nicht.
Es bleibt dabei: es soll einen sogenannten "harten Brexit" geben. Das heißt, einen Austritt auch aus dem Binnenmarkt und aus den Zollvereinbarungen. Stattdessen strebt die Regierung Ihrer Majestät ein "ehrgeiziges Freihandelsabkommen" mit der EU an. Immerhin klang Davis verbindlicher als May vor zwei Wochen, die der EU gedroht hatte, bei einem schlechten Deal könne Großbritannien der EU auch mit Niedrigsteuern für Unternehmen Konkurrenz machen. Das Ergebnis der Verhandlungen, so Davis, solle zum "beiderseitigen Nutzen" ausgestaltet werden. Sein Land werde auf "eine neue positive und konstruktive Partnerschaft hinarbeiten".
Zuvor hatte die Regierung eine erstaunlich breite Rückdeckung im Unterhaus für ihren Brexit-Gesetzentwurf bekommen. Darin heißt es: "Die Premierministerin darf die Absicht des Vereinigten Königreichs zum Austritt aus der EU gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union bekanntgeben". Es geht um eine Art Vollmacht für Theresa May, die Scheidung einzureichen. Ursprünglich wollte sie das Parlament umgehen, das Oberste Gericht hatte aber eine Parlamentsbeteiligung erzwungen.
Viele Abgeordnete innerlich gespalten
Eigentlich war eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten für die weitere EU-Mitgliedschaft. Doch gegen das Votum des Volkes, auch wenn es mit rund 52 (Pro Brexit) zu 48 Prozent (Contra) knapp ausgefallen war, wollten sich dann doch nur wenige stellen. Nach einer fast 17-stündigen Debatte über zwei Tage stimmten 498 für den Entwurf, 114 dagegen.
Selbst Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte seine Leute angewiesen, mit der Regierung zu stimmen. Doch 47 von 229 Labour-Abgeordneten hielten sich nicht daran. Der ehemalige Schatzkanzler Kenneth Clarke war der einzige Konservative, der von der Parteilinie abwich. In einer leidenschaftlichen Rede warf er den Brexit-Befürwortern vor, in einer Traumwelt zu leben, wenn sie glaubten, die Welt werde jetzt Schlange stehen, um mit Großbritannien neue Handelsverträge zu schließen.
Ein weiterer früherer konservativer Schatzkanzler, nämlich George Osborne, drückte dagegen aus, was viele Brexit-Gegner denken: Gegen das Referendumsergebnis zu stimmen würde das Parlament gegen das Volk stellen und "in unserem Land eine tiefe Verfassungskrise auslösen". Owen Smith, einer der Labour-Rebellen, sagt voraus, dass "der Brexit-Kurs, auf dem wir uns jetzt befinden, unsere Politik engherziger und unser Land ärmer machen wird". Angus McNeil von der Schottischen Nationalpartei, die insgesamt gegen den Brexit ist, findet gar, "dass das Unterhaus seinen Verstand abgegeben hat".
Tim Farron von den europafreundlichen Liberaldemokraten deutete an, wie es jetzt im Parlament weitergeht, als er sagte: "Für den Abschied zu stimmen ist nicht das gleiche, wie für ein Ziel zu stimmen". Jetzt, wo fast alle Tories und die meisten Labour-Abgeordneten ihre generelle Zustimmung zum Brexit gegeben und damit ihre Schuldigkeit getan haben, dürfte es für sie darum gehen, den weiteren Weg der Verhandlungen zu beeinflussen. Ihr Ziel: einen harten Brexit doch noch zu vermeiden. Ob die EU-Europäer allerdings darauf eingehen und wenn ja, zu welchem Preis, steht auf einem anderen Blatt.
Ex-Botschafter rechnet mit bis zu zehn Jahren
Im Unterhaus war die Abstimmung am Mittwoch nur die erste. Kommende Woche folgt die entscheidende zweite. Auch dann dürfte May auf wenig Widerstand stoßen. Anschließend geht die Vorlage ins Oberhaus. Hier allerdings sieht es anders aus. Denn die Konservativen haben im Oberhaus keine Mehrheit, und die nicht gewählten Oberhausmitglieder müssen weniger Rücksicht auf die Volksmeinung nehmen. Bis zum 7. März soll dort abgestimmt werden.
May hat angekündigt, die EU bis Ende März über den den Austrittswunsch zu unterreichten. Geht bis dahin für sie parlamentarisch alles glatt, könnte sie möglicherweise aber auch schon den regulären Gipfel am 9. Und 10. März dafür nutzen. Erst anschließend können die eigentlichen Verhandlungen über Austritt und ein neues Verhältnis zur EU beginnen.
Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat dafür 18 Monate angesetzt. Einschließlich der notwendigen Zustimmung des Europaparlaments, des Europäischen Rates und der Ratifizierung in den Einzelstaaten soll der Prozess nach zwei Jahren, also bis März 2019, abgeschlossen sein. Dagegen rechnet der zurückgetretene britische EU-Botschafter Ivan Rogers mit bis zu zehn Jahren. Einem Parlamentsausschuss sagte Rogers jetzt, der Verhandlungsprozess würde "gewaltige Ausmaße" erreichen, und es sei Konsens unter den übrigen EU-Mitgliedern, dass ein neues Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien erst bis Anfang der 2020er Jahre unterschriftsreif sei.