Buchblogs - die neue Vielfalt der Buchkritik
20. Oktober 2020Es ist schwer geworden, sich derzeit ein eigenes Urteil über ein Buch zu bilden, ohne es gleich zu kaufen. Kaum ein Autor, eine Autorin kann mit seiner Neuerscheinung live erlebt werden. Die COVID-19-Pandemie verhindert es. Lesungen sind selten geworden, und wenn überhaupt, finden sie vor einem bedauerlich kleinen Publikum statt.
Umso wichtiger ist gerade jetzt der Austausch über Bücher. Wer sich nicht allein auf die Empfehlungen der etablierten Literaturkritik (oder auch die Verrisse der Rezensenten) verlassen will, der sollte einen Blick auf die überraschend große und vielfältige Szene der Buchblogger werfen.
Doch was macht einen guten Buchblog aus? Und wie findet man sich unter all den Buchbegeisterten im Netz zurecht? Wie kann man sich orientieren, um die Blogs zu genau der Art von Büchern zu finden, die einen interessieren? Und dabei 'am Wegrand' vielleicht auch noch ein paar ungeahnte Kostbarkeiten zu entdecken?
Der "Bubla" im vierten Jahr
Es gibt ein Instrument, das dabei behilflich sein kann, sich auf der Suche nicht zu verirren: den "Bubla". Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Online-Plattform NetGalley haben 2017 einen Preis für die besten Buchblogs ins Leben gerufenen, den "Buchblog-Award".
Am Sonntagabend, als Abschluss der diesjährigen digitalen Frankfurter Buchmesse, wurden die Preise für die besten Buchblogs 2020 vergeben, natürlich auch digital. Vier Gewinner waren auszuzeichnen: ein Newcomer für den besten neuen Buchblog, eine Buchhandlung für ihren Blog, ein Verlags-Blog und ein herausragender Buchblogger.
Die Wertschätzung fürs Buch und den Wunsch, Aufmerksamkeit für bestimmte Titel zu schaffen, teilt die Blogger-Szene mit der konventionellen Buchkritik. Was sie unterscheidet, ist der Wunsch nach Vernetzung, einem Gemeinschaftsgefühl.
"Sharing is caring", sagt Sarah Reul, Moderatorin der Preisverleihung, in der Szene als "Pinkfish" bekannt. "Literatur ist machtvoll, und dadurch, dass wir über diese Romane und Sachbücher bloggen, über Bücher, die aufrütteln, unseren Horizont erweitern und uns reflektieren oder auch innehalten lassen, können wir aktiv zu einer faireren und gerechteren Welt beitragen."
Was macht einen guten Buchblog aus?
Und was macht einen Buchblog erfolgreich? "Leidenschaft, Kreativität, eine Grundidee und ein klares Konzept, aber auch Disziplin und Durchhaltevermögen", diagnostiziert Tina Lurz, eines der fünf Jurymitglieder. Die Mitgründerin der Agentur "ehrlich & anders" muss es wissen, die 28-Jährige bloggt selbst. Ihr Online-Tagebuch über Bücher und Reisen wurde als bester Kulturblog Münchens ausgezeichnet.
Originalität, gute Gestaltung, ein geeignetes Format, eine hohe Textqualität hält die Jury ebenfalls für notwendig bei einem guten Blog. Und nicht zu vergessen: die Interaktivität, also wie intensiv man mit anderen Buchliebhaber*innen ins Gespräch kommt.
Eine "Brand", also eine Marke, die einen persönlich auszeichne, hält Sarah Reul ergänzend für enorm wichtig und erinnert an das "Stand-alone-Merkmal" der letztjährigen Preisträgerin Nicole Seifert, die mit ihren Beiträgen das Thema Feminismus transportierte.
Um aber wirklich erfolgreich zu sein, brauche es unbedingt noch eine weitere Zutat, sagt die Moderatorin, die selber schon seit 14 Jahren in der Szene aktiv ist: Spaß. "Man darf sich selber nicht zu ernst nehmen. Es ist wunderschön, dass wir uns unsere Zahlen ansehen können, aber wenn man nur noch auf den SEO-Wert (der Erfolg bei Suchmaschinen, Anm. d. Red.) schielt und dann weniger Erfolgversprechendes vielleicht nicht mehr bloggt, verliert man irgendwann die Lust."
Preise für Buchhandels- und Verlagsblogs
Und welche sind die spannendsten Buchblogs im Corona-Jahr 2020? 3000 Buchfans schlugen ihre Favoriten vor und nominierten die beachtliche Anzahl von insgesamt 700 Buchblogs. Unter dreißig Finalisten entschied die Jury über den besten Newcomer und den besten Buchblog. Die Preise für den besten Buchhandlungs- und besten Verlagsblog vergab das Publikum per Online-Voting.
Für ihre Buchempfehlungen und die Inspiration auf ihrem Instagram-Kanal erhielt die "sehr sympathische Buchhandlung Lüders," - so ein Publikumsurteil - "die sich unfassbar viel Mühe gibt, die Bücher medial in Szene zu setzen" den Buchhandlungs-Blog-Preis.
Der beste Verlagsblog kommt aus dem Argon Verlag für den "Tonspur" Podcast von Dirk Kauffels. Falls man sich für Hörbücher interessiert, ist man hier richtig: Der Produzent und Regisseur umkreist in seiner Serie das Thema Hörbücher, mit Schauspieler*innen, Produzent*innen, Verleger*innen und anderen Hörbuchliebhaber*innen.
Die besten Buchblogs 2020
Beste Newcomer auf dem Blog-Parkett sind Fabienne Imlinger und Martina Kübler mit ihrem Podcast "Ich lese was, was du auch liest!" Sie diskutierten Bücher "auf literarisch anspruchsvollem Niveau – und zeigen, dass dabei Witz und Humor nicht zu kurz kommen müssen", urteilte die Jury. Dabei scheuten die beiden Literaturwissenschaftlerinnen auch die Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Meinungen nicht.
"In jeder Folge sprechen wir ausgiebig über ein Buch", erklärt das Duo zu ihren Podcasts. "Wir lesen querbeet und reden frei nach Schnauze. Meistens Belletristik, Tendenz zeitgenössisch. Hauptsache interessant und divers: Literatur von und über Frauen, PoC, LGBTQIA*. Dass darunter keine Bücher von alten weißen Männern sind, ist natürlich reiner Zufall."
Als bester Blogger wurde der Österreicher Tino Schlench ausgezeichnet, der unter seinem "Literaturpalast" verschiedene Plattformen vereint: einen Instagram-Kanal mit dem klaren Fokus auf Osteuropa und Ostdeutschland, eine Webseite und einen Podcast - "Projekte mit denen er seine Begeisterung für 'Underdog-Literatur' beweist", würdigte die Jury.
Wie wichtig die Bloggerszene mittlerweile für den Buchhandel und Verlage sind, beweist das Engagement des Börsenvereins und die Jury-Mitwirkung des Hanser-Verlegers Jo Lendle. Dass auch die anfängliche Konkurrenz zwischen der traditionellen Buchkritik und den Buchbloggern überwunden werden kann, dafür steht in der Jury Antonia Baum, Journalistin und Autorin der Wochenzeitschrift "Die Zeit". Den Lustgewinn haben in jedem Fall die Buchliebhaber*innen.