Buchtipp: Die Entführung des Generals
1. Juni 2015Zugleich überwältigten meine Leute und ich den General, legten ihm Handschellen an, fesselten ihn und stießen ihn auf den Rücksitz des Wagens. Paterakis, Tyrakis und Saviolakis sprangen zu ihm hinein, mit drei Maschinenpistolen, die sie aus dem Fenster richteten, und hielten den General mit zwei Kampfmessern in Schach.
Was sich anhört wie eine Passage aus einem Thriller, ist so tatsächlich passiert. Im Mai 1944 wurde der Oberbefehlshaber der deutschen Truppen General Heinrich Kreipe auf der griechischen Insel Kreta von britischen Agenten und einheimischen Widerstandskämpfern überfallen, entführt und nach Ägypten verschleppt. Für die Deutschen, die seit 1941 Kreta besetzt hielten (unser Foto oben), war das damals eine Schmach ohnegleichen: der ranghöchste Soldat der deutschen Besatzungstruppe auf der Mittelmeerinsel wie in einem schlechten Abenteuerfilm gekidnappt - das durfte nicht sein.
Die Entführung hatte einen hohen Preis
Die Rache der Deutschen fiel, wie bei vergleichbaren Attacken auf nationalsozialistische Besatzungstruppen überall in Europa, fürchterlich aus. Viele griechische Partisanen und auch Zivilisten mussten damals für die Tat mit dem Leben büßen. Zwar hatten die britischen Entführer des Generals sofort nach der Aktion eine Mitteilung an die "Deutschen Behörden auf Kreta" verschickt, in der es hieß: "Wir möchten ausdrücklich betonen, dass diese Operation ohne die Hilfe der kretischen Bevölkerung oder kretischer Partisanen durchgeführt wurde und dass unsere Führer Soldaten der Nahosttruppe seiner hellenischen Majestät waren, die mit uns landeten", doch nutzte dies wenig. Die deutschen Besatzer wüteten fürchterlich.
Entdeckung im Nachlass
Den Bericht dieses waghalsigen Unternehmens brachte der britische Schriftsteller Patrick Leigh Fermor, der während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der "Special Operations Executive" war, erst 1966 zu Papier. Den Auftrag dazu hatte er von einem populären historischen Magazin in England bekommen. Doch Fermor hielt sich nicht an die Zeilenvorgabe und schrieb ein ganzes Buch über das Unternehmen. Der Zeitschrift war das zu lang, der Text verschwand in den Archiven.
Erst als Fermor 2011 hochbetagt im Alter von 96 Jahren starb, entdeckte man das Manuskript in seinem Nachlass. Vor kurzem erschien "Die Entführung des Generals" in England, jetzt liegt der bemerkenswerte Text auf Deutsch vor. Unbekannt war die Entführung natürlich auch zuvor nicht. Der an der Aktion beteiligte britische Offizier William Stanley Moss hatte die Geschehnisse bereits 1950 in Buchform veröffentlicht, das Kino hatte sich des Falls daraufhin mit Dirk Bogarde in der Hauptrolle angenommen.
Literarischer Genuss
Was das nun erschienene Buch trotzdem so bemerkenswert macht, ist, abgesehen von der detaillierten Beschreibung des tollkühnen Unternehmens, das literarische Gewicht des Textes. Patrick Leigh Fermor war einer der angesehensten Autoren britischer Sprache des vergangenen Jahrhunderts, der sich insbesondere auf dem Gebiet der Reiseliteratur große Meriten erwarb. Die Reisebücher über seine Wanderungen zu Fuß durch Europa, die er in den 1930er Jahren unternommen hatte ("Die Zeit der Gaben - Zu Fuß nach Konstantinopel", "Zwischen Wäldern und Wasser", "Die unterbrochene Reise. Vom Eisernen Tor zum Berg Athos") gelten als herausragende Beispiele für stilistisch glänzende Reiseliteratur.
Schriftsteller von europäischem Format
Fermor war ein Meister der poetischen Verdichtung, ein eleganter Chronist Europas, ein begnadeter Erzähler und großer Stilist. Diese literarische Kraft zeichnet auch seinen Text "Die Entführung de Generals" aus. Dass das Buch nun just zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem man wieder über die deutsche Besatzungszeit Griechenlands während des Zweiten Weltkriegs diskutiert, über finanzielle Zwangsanleihen der Nazis spricht und mögliche Reparationsforderungen der Griechen diskutiert, macht die Lektüre auf eine weitere Seite aufschlussreich.
Patrick Leigh Fermor: Die Entführung des Generals, Deutsch von Manfred und Gabriele Allié, Dörlemann Verlag 2015, 304 Seiten, ISBN 978-3-03820-017-8.