Buddhas in Berlin: Asiatische Nonnen eröffnen neuen Tempel
22. Juni 2024Die Straße wirkt, als hätte die Entwicklung der Berliner Mitte sie vergessen. Einige eher ärmlich wirkende, mehrstöckige Wohnhäuser, eine Autowerkstatt, ein Hochhaus mit Kita am Ende der Sackgasse. Nachts, mehrmals die Woche, laden in dieser Straße Fahrzeuge heimlich Abfälle von Renovierungsarbeiten ab, zerschlagene Toilettenschüsseln, leere Farbeimer und anderen Unrat.
Dabei liegt dieses Endstück der Ackerstraße für Berliner Verhältnisse zentral. Es ist kaum zwei Kilometer vom Bundeskanzleramt entfernt. Unweit der früheren Berliner Mauer findet sich das Gebäude, an dem fast sieben Jahre gebaut wurde. Es ist eines der bemerkenswertesten religiösen Bauwerke der deutschen Hauptstadt: ein moderner buddhistischer Tempel.
Miao Shiang Shih ist die Meisterin des Tempels der Fo-Guang-Shan-Gemeinschaft. Seit Jahrzehnten lebt die gebürtige Taiwanesin in Berlin. Und über 30 Jahre meditierte sie mit zwei oder drei weiteren ordinierten Nonnen an gleicher Stätte in der Ackerstraße in einer Holzbaracke, die zuvor als Fabrik für Autoteile diente. Die Nonnen lebten nebenan in einer Wohnung.
Buddhas sind umgezogen
Die Buddha-Statuen sind jetzt umgezogen. Nun führt die freundliche Frau mit dem kahlgeschorenen Kopf durch den Neubau und zeigt zufrieden und stolz die Räumlichkeiten: den eigentlichen Hauptraum des Tempels, in dem künftig morgens und abends vor den drei goldenen Buddhas auch öffentlich meditiert wird, die Küche, die Gästezimmer, den Speisesaal, Räumlichkeiten für Kunstausstellungen oder kleine Konzerte, auch eine kleine Gedenkhalle für Verstorbene.
Auf Nachfrage erläutert die Meisterin noch das kunstvoll gearbeitete Metallgestell vor dem Bau. Das, sagt sie der DW, "ist der Räucherstäbchen-Stand. Wegen des Brandschutzes darf er nicht im Gebäude stehen."
Der Tempel entstand ohne jede finanzielle Förderung von Stadt, Land oder Bund. Zu den Kosten schweigt Miao Shiang Shi freundlich. Sie sagt schließlich nur, dass der Bau viermal teurer gewesen sei als kalkuliert. Zur Deckung der Kosten haben buddhistische Klöster und Fo-Guang-Shan-Anhänger in aller Welt beigetragen.
Weltweite Vernetzung
Das Kloster ist Teil einer gleichnamigen Gemeinschaft, die 1967 in Taiwan gegründet wurde. Das chinesische "Fo Guang Shan" heißt auf Deutsch "Buddhas Berg des Lichts". Auf Taiwan, aber auch weltweit gibt es viele Klöster dieser Ausrichtung. Sie finden sich auch in einer Reihe von europäischen Großstädten. In Deutschland wurde 2004 ein Kloster in Frankfurt am Main eröffnet. Shi betont auf Nachfrage, auch auf dem chinesischen Festland gebe es mehrere Klöster. Zu jenen Asiaten, die in die Ackerstraße zu Meditationen kämen, gehörten auch Chinesen aus der Volksrepublik.
"In unserem Zentrum steht ein humanistischer Buddhismus", erläutert die Meisterin. Diese moderne buddhistische Philosophie verbinde die meditative Zen-Praxis mit bewusster Nähe zu den Menschen. Die Lehre ermutige die Menschen, sich um andere zu kümmern. In der Ackerstraße gibt es sonntags auch ein Mittagessen für Bedürftige und Fürsorge im Alltag.
Der Neubau des buddhistischen Tempels passt zu Berlin. Die Hauptstadt mit mehr als 3,5 Millionen Menschen zeichnet sich durch religiöse Vielfalt aus. Die "Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt" verweist im Internet auf Schätzungen, wonach mehr als 250 Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften in Berlin aktiv sind. Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften spielten eine "bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben einer multikulturellen Metropole". Der Bau in der Ackerstraße ist längst nicht die einzige buddhistische Einrichtung der Stadt. Das "Buddhistische Haus" in Frohnau im Norden von Berlin ist bereits über 100 Jahre alt.
Religiöse Vielfalt in Berlin
Dadurch, dass junge Menschen aus aller Welt zum Studium oder zur Mitarbeit in Start-Up-Unternehmen nach Berlin kommen, wird die Stadt religiös bunter. Noch in diesem Jahr, so die Initiatoren, soll in der Hasenheide zwischen Kreuzberg und Neukölln ein seit bald 20 Jahren im Bau befindlicher Hindutempel eröffnet werden. Die katholische Kirche will Ende November nach einer rund vierjährigen Komplettsanierung wieder ihre St.-Hedwigs-Kathedrale am zentralen Bebel-Platz für ihre Gottesdienste nutzen. Dann das "House of One", ein gemeinsames Projekt von Christen, Juden und Muslimen, das allerdings erst am Anfang steht. Kleinere Freikirchen oder auch Synagogenräume oder Moscheen entstehen ebenfalls hier und da, ohne dass es mediale Aufmerksamkeit erregt.
Das passt zum Bild, das Miao Shiang Shi von den Besuchern oder Wegbegleitern des Klosters zeichnet. Sie berichtet von Spaziergängern, die einfach mal reinschauen, oder Schulklassen, die den Bau kennenlernen wollten. Zu den Mitgliedern der Gemeinde gehörten auch einige alteingesessene Berliner. Aber die Gäste würden internationaler.
Lange Zeit hätten sich die Nonnen um Übersetzungen ihrer liturgischen oder geistlichen Texte aus dem Chinesischen ins Deutsche bemüht. Nun wachse die Nachfrage nach Texten in englischer Sprache. Die Meisterin nennt Interessenten aus Südafrika und Indonesien, die in den Tempel kämen. Und sie erzählt dann von einem indischen Wissenschaftler, der das Kloster und sein soziales Engagement kennengelernt habe und schließlich Woche für Woche in die Ackerstraße gekommen sei. "Er wurde für uns zu einer Art Familienmitglied", sagt die Meisterin. Er übersetzte von sich aus Texte ins Englische.
Besonders international wird es am Sonntag (23. Juni) werden. Die kleine Gemeinschaft der Nonnen, zwei aus Taiwan, eine aus Singapur, erwartet zu den feierlichen Eröffnungszeremonien den ranghöchsten Abt des Ordens mit einigen Begleitern aus Taiwan sowie alle Meister und Meisterinnen buddhistischer Klöster aus Europa, zusammen um die drei Dutzend Repräsentanten. Ingesamt rechnet Shi mit bis zu 600 Gästen, viel zu viele für den Tempelraum selbst.
Aber die Meisterin freut sich doch. Sie werden, sagt sie, im neu angelegten, kleinen chinesischen Garten auf der Rückseite des Gebäudes Platz finden. Dort, unter einer großen Buddha-Zeichnung auf der Fassade des Gebäudes, werden dann zum ersten Mal Menschen die Sitzreihen füllen und die Feiern auf Großbildschirmen verfolgen.