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PolitikEuropa

Steinmeier will in Griechenland zum Dialog beitragen

Dimitra Kyranoudi (aus Berlin)
28. Oktober 2024

Thessaloniki, Athen und die Insel Kreta sind Stationen der Reise des deutschen Staatsoberhaupts nach Griechenland. Gesprächsthema unter anderem: Die Nazi-Verbrechen während der deutschen Besatzungszeit.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (ganz rechts) winkt den Fotografen zu, neben ihm stehen die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou mit ihrem Lebensgefährten und daneben (ganz links) Steinmeiers Ehefrau Elke Büdenbender
Frank-Walter Steinmeier und Ehefrau Elke Büdenbender (l.) begrüßen die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou mit ihrem Lebensgefährten im Schloss Bellevue im Januar 2023Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Die deutsch-griechischen Beziehungen seit der Finanzkrise, die wirtschaftliche Entwicklung zwischen beiden Ländern und die Migrationsfrage - das sind Themen, die bei dem Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Griechenland auf der Tagesordnung stehen.

"Ich möchte die vielfältigen Beziehungen unserer Länder würdigen, vom historischen Gedenken über politische Herausforderungen wie Migration und Nachhaltigkeit bis zur Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur", sagte Steinmeier in einem Interview mit der griechischen Zeitung Ta Nea am vergangenen Samstag (26.10.2024).

Auf der historischen Schwarz-Weiß-Aufnahme sind Soldaten in Uniformen der Wehrmacht zu sehen, die von einem Berg herabsteigen. Im Hintergrund ein Tal, in dem deutsche Panzer und Militärfahrzeuge zu sehen sind.
Wehrmachtssoldaten beim Vormarsch in Griechenland während des Zweiten WeltkriegsBild: United Archives/TopFoto/picture alliance

Das historische Gedenken wird dabei ein Schwerpunkt dieser vierten Griechenland-Reise Steinmeiers seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 sein. Es bezieht sich auf die Zeit der deutschen Besatzung zwischen April 1941 und Oktober 1944. Damals ermordeten deutsche Truppen Hunderttausende Griechen, zerstörten ganze Dörfer und lösten eine verheerende Hungersnot aus.

"Als deutscher Bundespräsident bekenne ich mich zu unserer politisch-moralischen Verantwortung für die Gräueltaten der Deutschen in Griechenland", so Steinmeier in seinem Zeitungsinterview. Das nationalsozialistische Deutschland habe schlimme Verbrechen an Frauen, Kindern und Männern verübt. "Dieses furchtbare und schmerzhafte Kapitel müssen wir in unserer Geschichte lebendig halten."

Von Thessaloniki nach Kreta

Die erste Station von Steinmeiers Reise ist daher die nordgriechische Hafenstadt Thessaloniki und das künftige Holocaust-Museum, das teilweise von Deutschland finanziert wird. Die jüdische Gemeinde von Thessaloniki, das einst als Jerusalem des Balkans bekannt war, wurde weitgehend vernichtet. 95 Prozent der rund 60.000 Juden der Stadt wurden in Auschwitz ermordet.

Wie der jüdische Friedhof von Thessaloniki verschwand

"Es ist mir wichtig, meinen Besuch an dem Ort, dem alten Bahnhof, zu beginnen, von dem aus fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt in die Vernichtungslager deportiert wurde", so Steinmeier. "Wir wollen, dass hier ein Ort der Erinnerung, aber auch der Aufklärung und Warnung vor menschenfeindlichen Bewegungen unserer Zeit entsteht."

Der Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der deutschen Vergangenheit dient auch der Besuch auf der Mittelmeerinsel Kreta. Sie war am 01.06.1941 von der Wehrmacht erobert worden. "Mehr als 30 Orte erlebten Zerstörung, Erschießungen und Massaker durch die deutschen Besatzer. Der deutsche Soldatenfriedhof Maleme ist die Ruhestätte von mehr als 4000 Soldaten. Somit ist Kreta ein wichtiger Punkt deutscher und griechischer Erinnerung", erklärt der griechische Politikwissenschaftler Babis Karpouchtsis.

Er hat vor allem die Vorgänge um das Dorf Kandanos untersucht, dessen Bewohner Steinmeier bei seiner Reise treffen wird. Es zählt zu den wichtigsten Erinnerungsorten Griechenlands, denn es wurde am 03.06.1941 im Rahmen von sogenannten "Sühnemaßnahmen" komplett von der Wehrmacht zerstört. 180 Einwohner des Dorfes und der Umgebung wurden ermordet. Die Besatzer stellten damals Tafeln auf, um mit ihrer Tat ein Exempel zu statuieren und den griechischen Widerstand zu brechen. Heute stehen Replikate dieser Tafeln auf dem zentralen Platz des Dorfes - als Mahnmal für das Wehrmachtsverbrechen.

Erinnerung und Versöhnung

Kandanos ist auch ein Ort deutsch-griechischer Versöhnungsarbeit. Die deutsche Nichtregierungsorganisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste baute in den 1960er Jahren in Kooperation mit Einwohnern des Dorfes das Wasserwerk wieder auf. Trotzdem hinterlasse die fehlende deutsche Wiedergutmachung einen bitteren Geschmack in der lokalen Gesellschaft, erklärt Karpouchtsis.

Doch Reparationszahlungen von Deutschland sind weiter nicht zu erwarten. "Die Frage der Reparationen ist für unser Land völkerrechtlich abgeschlossen, die Frage unserer Geschichte dagegen wird es niemals sein", so Steinmeier in der Zeitung Ta Nea. Er wünsche sich, dass Griechenland und Deutschland weiter gemeinsam an der Erinnerungskultur arbeiteten.

Der Schatten der Reparationsfrage

Tatsächlich bleibt die Bundesregierung in der Reparationsfrage bei ihrer Position: Die Angelegenheit sei mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit rechtlich und politisch abgeschlossen.

Griechenland dagegen hält an seinen Forderungen nach Reparationen fest. Berechnungen zufolge belaufen sie sich auf rund 300 Milliarden Euro. In einem Interview mit DW-Griechisch hatte die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou 2023 unterstrichen, dass "die Lasten der Vergangenheit nicht einseitig gelöscht werden" könnten und dass in Zukunft "mit Dialog und guter Stimmung eine Lösung gefunden werden könne".

Bundespräsident Joachim Gauck verbeugt sich tief vor dem Denkmal für das von den Nazis zerstörte Dorf Lingiades. Das Denkmal zeigt im Halbrelief Figuren, die am Boden liegen. Neben dem Mahnmal ist eine griechische Fahne zu sehen. Vor dem Mahnmal steht auf einem Ständer ein Kranz mit Blumen und einer Schleife in den deutschen Farben.
07.03.2014: Bundespräsident Joachim Gauck verbeugt sich vor dem Denkmal im griechischen Dorf LingiadesBild: Sakis Mitrolidis/AFP/Getty Images

Mit seinen Besuchen in Thessaloniki und Kandanos möchte Steinmeier zum Dialog und zur Vergangenheitsbewältigung beitragen. Er schließt damit an seinen Vorgänger Joachim Gauck (2012-2017) an. Der hatte im Jahr 2014 das Dorf Lingiades im Westen des griechischen Festlands besucht. Es war im Oktober 1943 fast vollständig von der Wehrmacht zerstört worden. 88 Bewohner wurden damals ermordet. "Mit Scham und mit Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung", sagte Gauck damals. Für viele Griechen hatte diese Rede eine ähnliche Wirkung wie Willy Brandts Kniefall im Warschauer Ghetto im Jahr 1970.

Migration und Kriege 

Neben der Erinnerung an die NS-Verbrechen wird sich die Reise des Bundespräsidenten auch auf die Gegenwart und Zukunft der griechisch-deutschen Beziehungen konzentrieren. Nach der Finanzkrise und den tiefen Wunden im Verhältnis zwischen Athen und Berlin scheinen die beiden Länder bereit zu sein, ein neues Kapitel des gegenseitigen Vertrauens aufzuschlagen.

Als gemeinsame Herausforderung wird vor allem die Flüchtlingskrise gesehen, die lange Zeit vor allem Griechenland mit seiner EU-Außengrenze belastete, inzwischen aber auch in Deutschland politische Debatten auslöst. Steinmeier wird ein Flüchtlingszentrum in Malakasa bei Athen besuchen.

In engem Zusammenhang damit stehen die beiden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die beide Länder beschäftigen. Über diese und weitere Themen wird Steinmeier unter anderem mit seiner Amtskollegin Sakellaropoulou und mit Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sprechen. 

Porträt einer jungen Frau mit braunen Haaren, vor ihr ist ein Mikrofon mit der Aufschrift "DW" zu sehen
Dimitra Kyranoudi Autorin, Reporterin, Redakteurin DW Griechisch