Gedenkstunde im Bundestag
27. Januar 2012Er spreche als Zeitzeuge und nicht als Historiker, betonte Marcel Reich-Ranicki am Freitag vor dem Parlament in Berlin. Bei der Holocaust-Gedenkstunde schilderte er als Hauptredner eindringlich seine persönlichen Erlebnisse. Der 91-jährige Sohn jüdischer Eltern aus Deutschland und Polen lebte von 1929 bis 1938 in Berlin und wurde dann nach Warschau deportiert.
Im Warschauer Getto arbeitete er als Übersetzer. Und in dieser Eigenschaft habe er, so Reich-Ranicki, beim sogenannten "Judenrat" im Ghetto "das Todesurteil diktiert, das die SS über die Juden von Warschau gefällt hatte".
Seine Eltern wurden im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Mit seiner 2011 verstorbenen Frau verbrachte Reich-Ranicki die Zeit bis zum Kriegsende im Untergrund. Von seiner Familie überlebte nur noch eine Schwester den Holocaust.
Lammert fordert Engagement gegen Antisemitismus
Bundestagspräsident Norbert Lammert rief die Gesellschaft dazu auf, sich gegen rechtsextremistische Tendenzen zur Wehr zu setzen. Es müsse "Ziel und Verpflichtung" aller sein, sich dafür einzusetzen, dass die Menschen in der Bundesrepublik "frei, gleich und ohne Angst leben dürfen", sagte der CDU-Politiker. Er zitierte aus einer vor kurzem veröffentlichten Studie, dass 20 Prozent der Bürger antisemitisches Gedankengut aufwiesen. Das seien genau 20 Prozent zuviel, so Lammert.
An der Gedenkstunde im Bundestag zum 67. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitznahmen auch Bundespräsident Christian Wulff, Kanzerlin Angela Merkel, Bundesratspräsident Horst Seehofer und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, teil.
Soldaten der Roten Armee befreiten am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz westlich von Krakau. Der Jahrestag wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Datum des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Seitdem findet alljährlich im Bundestag eine Gedenkstunde mit Zeitzeugen statt.
ml/wa/kis (dapd, dpa, epd)