Bundeswehr gegen Terror im Land
7. März 2017DW: Das Grundgesetz hat sehr enge rechtliche Schranken für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren gesetzt. Nach Artikel 35 dürfen nur bei "besonders schweren Unglücksfällen" Soldaten im Inneren eingesetzt werden. Bislang kam das nur bei Naturkatastrophen zum Tragen. Jetzt übt die Bundeswehr erstmals mit der Polizei den gemeinsamen Einsatz im Terrorfall. Wie weit ist das durch die Verfassung gedeckt?
Joachim Wieland: Das Grundgesetz ist aus der geschichtlichen Erfahrung heraus sehr zurückhaltend gegenüber Einsätzen der Bundeswehr im Inneren. Das soll im Prinzip die Polizei machen.
Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner einschlägigen Entscheidung von 2012 etwas erweiternd ausgelegt. Es hat gesagt, ein schwerer Unglücksfall kann auch ein absichtlich herbeigeführter Unglücksfall sein – wenn Terroristen einen solchen Fall herbeiführen. Und es hat gesagt, die Unterstützung der Bundeswehr ist nicht erst dann zulässig, wenn bereits ein Schaden entstanden ist, sondern schon unmittelbar vorher zur Schadensabwehr. Das ist eine deutliche Erweiterung des Artikels 35. Das Gericht hat selbst gesagt, Artikel 35 ist nicht eindeutig in diesem Punkt. Es hat sich aber dafür entschieden zu sagen: Unter strikten Anforderungen können auch bei solchen absichtlich herbeigeführten Unglücksfällen Bundeswehrkräfte zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden.
Werden wir uns jetzt an bewaffnete Soldaten im Straßenbild gewöhnen müssen?
Ich glaube nicht, dass wir uns an bewaffnete Soldaten im Straßenbild gewöhnen müssen. Denn die Hürden sind immer noch sehr hoch: Die Kräfte von Polizei, Bundespolizei und Grenzschutz dürfen nicht ausreichen, es muss katastrophenähnlich sein. Bis jetzt haben wir glücklicherweise noch keine Terroranschläge erlebt, die dieses katastrophenartige Ausmaß angenommen hätten.
Mit welcher Begründung wird denn für die Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr geworben?
Das Bundesverfassungsgericht hat das rein rechtlich begründet. Tatsächlich steht sicher dahinter die Überlegung: Manche Dinge kann vermutlich die Bundeswehr besser leisten als die Polizei: Wenn es etwa um Sprengfallen und ähnliches geht, was eher im Krieg eingesetzt wird. Aber darin liegt auch eine gewisse Gefahr: Je mehr man einen Bundeswehreinsatz in die Nähe des Möglichen rückt, desto eher ist man auch bereit, bei der Polizei zu sparen und zu sagen: Wir brauchen die Polizei nicht besser auszurüsten, zur Not haben wir ja die Bundeswehr.
Die Bundeswehr scheint ja auch gerne bereit zu sein, die Sicherheit Deutschlands eben nicht nur "am Hindukusch" zu verteidigen, sondern auch im Inland, am Bahnhof um die Ecke sozusagen. Trotz der Belastung durch die zahlreichen Auslandseinsätze wie in Afghanistan oder Mali.
Bei der Bundeswehr - auch bei der politischen Führung – ist ganz offensichtlich die Bereitschaft vorhanden, zu sagen: Hier kann die Bundeswehr zusätzliche Aufgaben übernehmen. Das wird natürlich dann auch mit der Anforderung zusätzlicher Ressourcen, zusätzlicher Finanzmittel verbunden. Das sind Ressort-Interessen, die man erkennen kann. Die sollten aber nicht handlungsleitend sein. Da ist schon entscheidend die große Zurückhaltung des Grundgesetzes gegenüber Bundeswehreinsätzen im Inneren.
Nach einer Umfrage vom August vergangenen Jahres befürworten knapp drei Viertel der Befragten den Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Falle eines Terroranschlags. Zweifeln die Menschen an den Fähigkeiten der Polizei?
Ich glaube, es ist eher eine Verunsicherung und das Gefühl: Terror bedroht uns und da müssen wir alles, was wir an Kräften haben zum Einsatz bringen. Dabei wird aber leicht übersehen, dass die Bundeswehr von ihrer Ausbildung her nicht zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben in der Lage ist. Die Polizei hat eine ganz andere Aufgabe, die hat eine ganz andere Schulung. Die Bundeswehr ist auf Kriegseinsätze hin ausgebildet. Das wird in der Bevölkerung zum Teil übersehen. Letztlich überwiegt die Angst vor Terroranschlägen. Aber Angst ist selten ein guter Ratgeber.
Joachim Wieland ist Professor für Öffentliches Recht und Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaft in Speyer. Wieland war zuvor unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht.
Die Fragen stellte Matthias von Hein.