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Waldeck und die 68er

Michael Kleff25. Juli 2008

Als Anfang einer musikgeschichtlich revolutionären Epoche hat man das erste deutsche Chansonfestival auf Burg Waldeck später interpretiert. 1964 aber glaubte niemand, dass die kleine Runde zur Legende werden könnte.

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Hannes Wader während eines Auftritts am 22. Dezember 1970 in Hamburg
Hannes Wader während eines Auftritts am 22. Dezember 1970 in HamburgBild: picture-alliance / dpa

Am Pfingstwochenende 1964 versammelten sich gut 400 Zuhörer im Hunsrück zum ersten Open-Air-Festival der Bundesrepublik Deutschland, um einem Dutzend Sängerinnen und Sänger zu lauschen. "Chanson Folklore International - Junge Europäer singen", so lauteten Titel und Motto des ersten Festivals auf der Burg Waldeck.

Benno Ohnesorgs Erschießung am 2. Juni 1967 während einer Anti-Schah-Demo in Berlin radikalisierte auch die Liedermacher
Benno Ohnesorgs Erschießung am 2. Juni 1967 während einer Anti-Schah-Demo in Berlin radikalisierte auch die LiedermacherBild: picture-alliance / aka-images / Henschel

Erstmals nach 1945 entstanden wieder Lieder in deutscher Sprache, die das aktuelle Zeitgeschehen reflektierten. Mit Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader oder Walter Moßmann hielt dann 1966 das "kritische Lied" Einzug auf der Waldeck. 1967 stand das Festival unter dem Motto "Das engagierte Lied". Große Koalition, Notstandsgesetze, Vietnamkrieg, Rudi Dutschke und der Sozialistische Deutsche Studentenbund sowie der Tod von Benno Ohnesorg verlangten nach einer Stellungnahme auch von den Künstlern.

Gitarren und Mao-Bibeln

Vorbild für die Waldecker war das Newport Folk Festival. 1968 brachten Besucher aus den USA die Ideen der Bürgerrechtsbewegung nach Deutschland. Franz Josef Degenhardt sang, Zwischentöne seien nur Krampf im Klassenkampf. Statt wohlgesetzter gesungener Worte beherrschten nun Resolutionen die Szene, Mao-Bibeln wurden verkauft, rote Fahnen im Festzelt aufgehängt und die Internationale gesungen. Auf der Tagesordnung standen nun Lieder, die einen ganz neuen Blick auf die eigene Gesellschaft warfen.

In einer 1968 beschlossenen Resolution definierte sich das Waldeck-Festival als Teil des internationalen Widerstands, und erklärte sich solidarisch mit den politischen Forderungen der in Frankreich kämpfenden Arbeiter und Studenten. Eine Überpolitisierung, meint der sozialkritische Chansonnier Hannes Wader im Rückblick. "Es wurde diskutiert. Es wurden politische Programme aufgestellt. Es trafen sich politisch engagierte Gruppen verschiedenster Couleur", erzählt der Liedermacher. "Stellt eure Gitarren in die Ecke!", hieß eine der Forderungen der Zeit - für Hannes Wader "ein Spiegel der allgemeinen Situation in Deutschland, des allgemeinen politischen Aufbruchs der späten 60er Jahre".

Die Folklore stirbt den revolutionären Heldentod

Hannes Wader im Gespräch mit Franz Josef Degenhardt im Dezember 1970 in Hamburg
Hannes Wader im Gespräch mit Franz Josef Degenhardt im Dezember 1970 in HamburgBild: picture-alliance / dpa

Beim letzten großen Waldeck-Festival 1969 prägten dann Beat- und Underground-Bands das Programm. Lied und Folklore spielten nur noch eine Nebenrolle. Stattdessen wurde eine revolutionär-politische Diskussionswerkstatt inszeniert. Danach wandten sich die Organisatoren der sechs Veranstaltungen zwischen 1964 und 1969 anderen Aktivitäten zu.

Viele der Musiker hatten sich einen Namen gemacht und brauchten die Waldeck nicht mehr. Und die, die weiter Revolution machen wollten, fanden ihre Zielgruppen überall besser, als ausgerechnet an diesem abgeschiedenen Ort in der Provinz. Die Tageszeitung Kölnische Rundschau resümierte damals: "Ein bekanntes Song-Festival geriet nach fünf Jahren unter die Räder der Außerparlamentarischen Opposition. Waldeck ist nicht mehr."