Schützer oder Schläger?
16. November 2019"He, ihr da!", brüllt Oliver Niedrich zwei Frauen hinterher, die vor dem Berliner Dom in der Stadtmitte Unterschriften gesammelt haben. Jetzt laufen sie vor dem Mann mit der roten Weste davon. Niedrich und sein Kumpel halten sie für Betrügerinnen und Taschendiebinnen. Nachweisen können sie das nicht.
Die kurze Szene polarisiert sofort die Umstehenden. Eine Frau bedankt sich bei den Männern für deren Arbeit, ein anderer Passant hingegen ruft die Polizei.
"Ab und zu stoßen wir auf Leute, die uns nicht mögen", sagt Niedrich lachend. Ein Polizist prüft seinen Personalausweis. Mehr geschieht nicht. Niedrich weiß: Die "Bürgerwehr" ist legal, solange sie keine Tatverdächtigen festnimmt oder Gewalt anwendet. Auch die roten Westen dürfen die Männer tragen.
Niedrich ist einer von etwa 20 Mitgliedern der Berliner Initiative "Schafft Schutzzonen". Zu zweit oder zu dritt ziehen die Männer mit ihren roten Westen und dem stilisierten S durch Stadtteile, die sie für Brennpunkte von Kleinkriminalität halten. "Schafft Schutzzonen" kann man mit SS abkürzen, so wie Adolf Hitlers "Schutzstaffel" im Dritten Reich. Schmidtke weist eine solche Verbindung entschieden zurück.
Rechtsextrem und vorbestraft
Ins Leben gerufen hat die Kampagne für sogenannte "Schutzzonen" die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD. Ihre Vertreter sagen, sie patrouillierten bevorzugt in Touristenvierteln oder Gegenden mit vielen Migranten. Dort wollten sie für "Sicherheit und Ordnung sorgen".
"Vieles hat sich geändert durch den Zuzug von Ausländern", sagt Sebastian Schmidtke von der Berliner NPD, der die Bürgerwehren organisiert. Schmidtke ist mehrfach vorbestraft wegen Volksverhetzung. "Wir haben Probleme dort, wo Flüchtlingsheime entstanden sind", sagt er. Die Dinge hätten sich "negativ entwickelt. Zuzug trägt dazu bei. Das ist leider die Realität. Und vor der Realität kann man die Augen nicht schließen."
Doch eigentlich ist die Realität eine andere: Nach Behördenangaben sinkt die Kriminalitätsrate, sowohl in Berlin als auch in Deutschland insgesamt. Daher glauben Politiker und Sozialwissenschaftler, dass die selbsternannten Ordnungshüter andere Ziele verfolgen als sie vorgeben: nämlich, dass es nicht um mehr Sicherheit geht, sondern darum, Migranten einzuschüchtern und Fremdenfeindlichkeit für politische Zwecke auszunutzen.
Behörden sind alarmiert
Die Behörden sehen die Aktivitäten der selbsternannten "Bürgerwehren" kritisch, doch sind ihnen die Hände gebunden, solange diese Milizen nicht bestimmte Grenzen überschreiten. Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion Ende Oktober klargestellt: "Bürgerwehren haben keine weitergehenden Befugnisse als andere Bürger." Es bestehe anscheinend "ein fließender Übergang vom Aufruf zur Bildung von 'Bürgerwehren' hin zu einem eigenmächtigen Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols oder gar hin zu gewalttätigem Handeln", so die Warnung.
Das Phänomen dieser Gruppen ist nicht neu. Nach der Wiedervereinigung 1990 bildeten sich vor allem in den ländlichen Gegenden des Ostens Bürgerinitiativen, denen es auch um Sicherheit in Städten und Dörfern ging. Sie waren meist harmlos. Doch mit dem starken Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern ab 2015 änderten sie ihr Gesicht, erklärt Bernd Wagner, Kriminologe und Leiter von EXIT Deutschland, einer Organisation, die Aussteigewilligen aus der rechtsextremen Szene hilft.
Was die Situation speziell in Berlin betrifft, so schreibt die Berliner Senatsverwaltung der Deutschen Welle: "Sogenannte Bürgerwehren und damit einhergehende Aktionen lehnen wir selbstverständlich ab. Das Gewaltmonopol liegt aus gutem Grund ausschließlich beim Staat."
Der Berliner Verfassungsschutz beobachte die "Schutzzonen"-Kampagne, bei der die NPD versuche, sich "als 'Schutzmacht' gegen vermeintliche 'Ausländergewalt' und 'No-Go-Areas' zu inszenieren". Die Bundesregierung erkennt einem Medienbericht zufolge bei selbst ernannten Bürgerwehren "Ansätze für rechtsterroristische Potenziale".
"Uns mit Terroristen zu vergleichen halte ich für ahnungslos", sagt dagegen NPD-Funktionär Schmidtke. "Wir machen eine Streife, gucken uns an, dass das Gebiet sicher ist." Die Leute fänden die Patrouillen gut, behauptet er. "Mir ist es persönlich egal, wie man genannt wird. Wir machen das aus Überzeugung und sehen das als vernünftig an. Ob das 'rechtsextrem' heißt, ist mir vollkommen egal."