Die Gewinner der Cannabis-Legalisierung in Deutschland
22. März 2024Noch will Dirk Rehahn die Sektkorken nicht knallen lassen. "So richtig traue ich mich noch nicht", sagt der Unternehmer. Grund zum Feiern hat er allerdings: Die Zugriffe auf seine beiden Internetseiten haben sich seit dem 23. Februar vervielfacht.
An diesem Tag hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung "zum kontrollierten Umgang mit Cannabis" verabschiedet. Jeder Erwachsene soll demnach drei Graspflanzen zu Hause anbauen, 50 Gramm Cannabis dort lagern und bis zu 25 Gramm mit sich herumtragen dürfen. Seit dem 22. März ist das Gesetz auch durch den Bundesrat. Damit wird Cannabis in Deutschland ab dem 1. April zum größten Teil legal. Jetzt ist klar: So wie das Gesetz umgesetzt wird, gehört Dirk Rehahn zu den Gewinnern der Teil-Legalisierung.
Rehahn vertreibt alles rund um den Anbau von Gras. Man könnte es auch mit Gewächshaustechnik und Gärtnerbedarf beschreiben. Sein Bestseller sind sogenannte fertige Grow-Sets - kühlschrankgroße Zelte mit Lampen, Belüftungssysteme und Messtechnik. Das günstigste kostet etwas über 500 Euro, das teuerste liegt bei fast 1500 Euro - doch alle sind derzeit vergriffen. "Die Leute verlieren die Berührungsängste, Cannabis selbst anzubauen", sagt Rehahn im DW-Gespräch.
Alles rund um den Anbau von Cannabis boomt
Er selbst saß bereits zwei Jahre im Gefängnis wegen Beihilfe zum Anbau von Cannabis. Danach hat er 2011 den Großhandel aufgezogen. Seitdem spricht er in Beratungsgesprächen vor allem von Chilis, Tomaten und Brokkoli. Jetzt freut er sich darauf, "ganz normal beraten zu dürfen", sagt Rehahn. Mit vier festen Mitarbeitern haben seine beiden Shops "Drehandel" und "Dirks Growshop" im vergangenen Jahr einen Umsatz von zwei Millionen Euro gemacht. In diesem Jahr geht er von drei bis vier Millionen aus.
Auch bei anderen Zulieferern aus der sogenannten Grow-Branche ist die Stimmung sehr gut: Ob beim österreichischen Verkäufer von Hanfsamen, Seeds 24 oder beim Hamburger Händler Growmark - alle warnen vor längeren Lieferzeiten. Beim Onlineshop Grow Guru heißt es: "Im Moment werden alle Shops und Lieferanten von Kunden überrannt."
Das große Geschäft mit den Genuss-Kiffern bleibt aus
Doch nicht alle in der Branche haben Grund zu Feiern. Wer auf eine umfassende Legalisierung gesetzt hat, geht leer aus. So soll es keine Fachgeschäfte geben, in denen Cannabis verkauft wird. Importeure, Vertriebler, Shopbetreiber - sie alle müssen sich nach neuen Geschäftsmodellen umschauen. Canabis zum Spaß wird laut Gesetz entweder zu Hause gezüchtet oder in sogenannten "nichtgewerblichen Anbauvereinigungen" - auch Cannabis Social Clubs genannt - konsumiert.
"Unser Geschäftsmodell war zum Glück nie auf die Legalisierung ausgelegt", sagt Cantourage-Geschäftsführer Philip Schetter. Das Unternehmen ist auf den Import und die Verarbeitung von medizinischem Cannabis spezialisiert. In London betreibt es eine auf Cannabis spezialisierte Klinik. Nach eigenen Aussagen arbeiten 50 Mitarbeiter in Deutschland und 25 in Großbritannien für die Berliner Firma.
Ende 2022 ist Cantourage an die Börse gegangen. Seitdem hat sich der Aktienkurs mehr als halbiert. Cantourage hat ähnliche Probleme wie viele andere in der Branche: Es fehlt der ganz große Wurf. "Im Gegensatz zu anderen Unternehmen der Branche wachsen wir aber stark und verbrennen immerhin kein Geld", sagt Schetter. Der Umsatz lag nach eigenen Angaben in den ersten neun Monaten 2023 bei 17 Millionen Euro.
Durch den Verzicht auf teure eigene Produktionsanlagen seien die laufenden Kosten überschaubar, meint Schetter im DW-Gespräch und fügt selbstbewusst hinzu: "Wir sind gewappnet für alles, was kommt." Am meisten Potenzial sieht er in der Reklassifizierung von Cannabis.
Medizinisches Cannabis: Vom Stiefkind zum Gewinntreiber
Durch die Gesetzesänderung wird Cannabis als Medizin auch nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft. Die Verschreibung wird dadurch deutlich leichter. "Firmen, die heute schon im Geschäft mit medizinischem Cannabis sind, werden überproportional davon profitieren", sagt Finn Hänsel, Gründer und Geschäftsführer der Sanity Group. "Wir hatten uns insgesamt mehr erhofft, im pharmazeutischen Markt steckt aber noch viel Potenzial", so Hänsel im DW-Gespräch.
Derzeit gibt es etwas weniger als 200.000 Cannabis-Patienten in Deutschland. Dieser Markt könnte weiter wachsen. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei 200 Millionen Euro, den sich etliche Unternehmen untereinander aufteilen.
Ohne langen Atem geht in der Branchen nichts
Doch ein Türchen zum Geschäft mit Freizeitcannabis bleibt für die Unternehmen weiter geöffnet. So will der Staat mittelfristig auch "kommerzielle Lieferketten" in ausgewählten Kreisen und Städten zulassen. Sogenannte Modellprojekte könnten in Berlin, Köln oder anderswo dann doch zusätzliche Millionen durch Fachgeschäfte in die Kassen spülen. Im Sommer sollen Einzelheiten über die Modellprojekte bekannt werden. Wer im Markt weiter mitmischen möchte, der benötigt einen langen Atem.
Für den Online-Händler Dirk Rehahn ist das erstmal nicht der Fall. Für ihn gilt, was schon bei den den Goldsuchern gegolten hat: Wer die Schaufeln und Siebe verkauft, der hat beste Aussichten auf gute Gewinne. Doch ganz so festlegen möchte er sich selbst nicht. Die Cannabisbranche sei sehr dynamisch. Andere Geschäftsmodelle könnten mittelfristig vielleicht erfolgreicher sein. "Die kleinen Pionier-Bioläden in den Innenstädten sind auch fast alle von großen Ketten verdrängt worden. Ähnlich könnte es auch mit uns passieren."
Der Artikel ist erstmals am 7.3.2024 erschienen und wurde am 22.3.2024 nach der Entscheidung des Bundesrates aktualisiert.