Cannes 2015: Strahlende Gewinner und düstere Filme
Ein Flüchtlingsdrama, eine filmisch ungewöhnliche Holocaust-Geschichte und ein hartes Martial-Arts-Stück: An der Croisette wurden bei den 68. Filmfestspielen nicht nur Feelgood-Movies ausgezeichnet.
Die Goldene Palme geht nach Frankreich
Die Jury unter Vorsitz der Coen-Brüder Ethan und Joel hat gesprochen: Die begehrte Auszeichnung geht in diesem Jahr an Jacques Audiard für seinen Film "Dheepan". Audiard, zutiefst gerührt, beteuerte in seiner Dankesrede, diesen Preis von den Coen-Brüdern zu bekommen, sei etwas Einmaliges.
"Dheepan" - Zwischen Liebe und Gewalt
"Dheepan" erzählt die Geschichte von drei Flüchtlingen, die dem Bürgerkrieg in Sri Lanka entkommen sind. Sie tun sich zusammen, um vor den Behörden als Familie durchzugehen. Dheepan, der Protagonist, ergattert einen Job als Hausmeister in einem Pariser Vorort. Die zusammengewürfelte Familie versucht sich der fremden Welt anzupassen, sieht sich aber mit Unverständnis konfrontiert.
Zeigen, was man eigentlich nicht zeigen kann
Den Großen Preis der Jury (Grand Prix) erhält der Ungar László Nemes für "Son of Saul". Der Film erzählt vom Schicksal eines KZ-Häftlings in Auschwitz, der im jüdischen Sonderkommando arbeiten muss. Eine schockierende Inszenierung des alltäglichen Grauens: Nemes verzichtet fast ganz darauf, andere Häftlinge zu zeigen. Über weite Strecken folgt die Kamera nur dem beeindruckenden Hauptdarsteller.
Feinfühlige Darstellerin
Den Preis für die beste Hauptdarstellerin erhält Rooney Mara (l.) für ihre feinfühlige Interpretation in "Carol". Mara spielt zusammen mit Hollywoodstar Cate Blanchett in diesem Kinodrama ein lesbisches Paar, das versucht seine verbotene Liebe im New York der frühen 1950er Jahre zu leben. Das Drehbuch ist nach einer Vorlage der Schriftstellerin Patricia Highsmith entstanden.
Geteilter Preis, doppelte Freude
Die Französin Emmanuelle Bercot teilt sich den Preis für die beste Darstellerin mit der Amerikanerin Rooney Mara. In dem Film "Mon Roi", inszeniert von ihrer Freundin Maïwenn, verkörpert Bercot eine Anwältin, die nach einem schweren Skiunfall in der Reha-Klinik landet. Ausgezeichnet wurden beide Schauspielerinnen für das intensive Spiel mit wechselnden Gefühlen.
Sieg des Favoriten
Bei den Schauspielern konnte Vincent Lindon die begehrte Auszeichnung für sich verbuchen. Der Franzose galt gemeinhin als Favorit für den Preis als bester Hauptdarsteller. In dem Sozialdrama "La Loi du Marché" (Das Gesetz des Marktes) spielt er einen Arbeitslosen, der eine Stelle als Sicherheitsmann in einem Supermarkt ergattert hat und fortan die Kassiererinnen überwachen muss.
Beste Regie für "The Assassin"
Die beste Regie führte nach Ansicht der Jury Altmeister Hou Hsiao-Hsien aus Taiwan. Das düstere Martial-Arts-Stück spielt im neunten Jahrhundert in den letzten Jahren der Tang-Dynastie. Eine junge Frau, die als Kind in ein Kloster geschickt wird, lernt dort hart zu kämpfen und zu töten, aber nicht einem Menschen zu lieben.
Triumph für Michel Franco
Mit dem Preis für das beste Drehbuch wurde Michel Franco für den Kinofilm "Chronic" ausgezeichnet. Der Mexikaner lieferte mit seinem englischsprachigen Sterbehilfe-Drama den wohl deprimierendsten Film des Croisette-Jahrgangs 2015, so die Kritiker. Tim Roth spielt darin einen manischen Krankenpfleger, der sich weit mehr als üblich in das Privatleben seiner Patienten einmischt.
Singlesein mit Spätfolgen
Den Jury-Preis erhält haarsträubende Zukunftsvision "The Lobster" von Yorgos Lanthimos - einer der komischsten Beiträge des Festivals. Colin Farrell spielt darin einen verlassenen Ehemann, dem 45 Tage Zeit bleiben, um einen neuen weiblichen oder männlichen Partner zu finden. Gelingt ihm das, wird er wieder in die Gesellschaft integriert, scheitert er, wird er in ein Tier seiner Wahl verwandelt.
Keine Palme für Italien
Leer gingen in diesem Jahr die zwei italienischen Beiträge für den Wettbewerb in Cannes aus. Obwohl sowohl der Film "Youth" mit Harvey Keitel und Michael Caine als auch "Mia Madre" (Bild) mit John Torturro als Favoriten gehandelt worden waren, gab es keine Auszeichnung für beide Kinoproduktionen.
Vorfreude auf Cannes 2016
Insgesamt hinterließ der diesjährige Wettbewerb bei Kritikern und Publikum einen starken Eindruck, es gab beeindruckende Filmkunst zu sehen. Stars und Sternchen sorgten auch in diesem Jahr für viel Glamour und gute Laune vor den Kameras der Fotografen. Es hieß zwar Abschied nehmen, doch auch in Cannes gilt: "Nach den Spielen ist vor den Spielen."