Cannes blickt in die Welt
11. Mai 2010Das wichtigste Filmfestival der Welt passt sich an. Nicht das Kino Hollywoods und auch nicht die klassischen europäischen Kino-Nationen dominieren in diesem Jahr den Wettbewerb um die "Goldene Palme", der vom 12. bis 23. Mai an der legendären Croisette stattfindet. Filme aus Algerien und der Republik Tschad, aus Südkorea und Thailand, aus der Ukraine und Mexiko sind in diesem Jahr vertreten. Das ist eine neue Entwicklung für das sonst so glamouröse Festival an der Cote d'Azur. Eine Entwicklung übrigens, die die Berlinale schon seit einigen Jahren in ihren Programmen vorgezeichnet hat.
Die Regisseure aus Asien und dem Mittleren Osten, aus Mittelamerika und Korea sind dabei keine Unbekannten auf der Kinoweltkarte. Abbas Kiarostami aus dem Iran ist der international bekannteste Regisseur seines Landes und gewann an der Croisette bereits eine "Goldene Palme". Der Thailänder Apichatpong Weerasethakul fasziniert mit seinen geheimnisvollen Kunstfilmen seit einigen Jahren ein cineastisch geschultes Publikum weltweit. Und der mexikanische Filmemacher Alejandro González Innárritu gilt seit seinem Jahrhundertfilm "Amores Perros" und dem oscargekrönten "Babel" zu den derzeit interessantesten Neuerern des Weltkinos.
Hollywood im künstlerischen Tal
Die Krise Hollywoods spiegelt auch den 63. Jahrgang des Wettbewerbs von Cannes wider. Vor allem die Altmeister des amerikanischen Films sind vertreten. Der britische Hollywood-Regisseur Ridley Scott dürfte zur Eröffnung mit seiner Robin-Hood-Version keinen Kinomeilenstein vorlegen. Interessanter dagegen könnte der neue Woody-Allen-Film "You Will Meet a Tall Dark Stranger" und Oliver Stones neues Finanzspektakel "Money Never Sleeps" ausfallen - beide Filme laufen allerdings außer Konkurrenz. Offiziell vertritt Doug Limans Film "Fair game" mit Sean Penn die Amerikaner im Wettbewerb.
Auch das westeuropäische Kino ist diesmal von den Veranstaltern nur zurückhaltend berücksichtigt worden. Zwar ist das Gastland Frankreich traditionell stark vertreten, sonst sorgen aber nur zwei britische, ein italienischer Beitrag sowie Filme aus Ungarn, Russland und der Ukraine für europäische Präsenz. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass viele Filme in und außerhalb des Wettbewerbs Co-Produktionen sind. Diese internationale Vernetzung der Filmwirtschaft ist seit einigen Jahren augenfällig, die Globalisierung hat auch das Filmgeschäft voll im Griff.
Die deutsche Präsenz
So haben auch die Produzenten des aus Weißrussland stammenden ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa darauf verwiesen, dass ihr für den Wettbewerb nominierter Film "You, My Joy" eine ukrainisch-deutsch-niederländische Koproduktion ist, Loznitsa seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Das hat die erste Enttäuschung hiesiger Filmfunktionäre ein wenig gelindert. Das deutsche Kino muss sich wegen der Missachtung deutscher Regisseure für das Rennen um die Palmen nicht grämen. Zum einen ist Deutschland seit einigen Jahren auf Festivals in aller Welt sehr präsent und hat viele Preise gewonnen.
Und zum anderen ist es in wichtigen Nebenreihen vertreten. Christoph Hochhäusler, der bereits 2005 in Cannes dabei war, stellt in der Reihe "Un certain Regard" seinen neuen Streifen "Unter dir die Stadt" vor, eine Geschichte um Liebe und Macht im Bankenmilieu. Und der junge Regisseur Philip Koch, dessen "Picco" bereits beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken zu sehen war, kann sich über eine Einladung in die Sektion "Quinzaine des Réalisateurs" freuen. "Picco" ist ein sehr streng und düster erzähltes Gefängnisdrama nach einem authentischen Fall. Mag sein, dass das deutsche Kino mit den Filmen von Hochhäusler und Koch erneut das Klischee der ernsten und gedankenschweren Kinonation bestätigt. Die Franzosen lieben diese Art von Kino.
Proteste aus Italien und gegen den Iran
Und dann hat Cannes auch schon einen kleinen Skandal im Vorfeld. Aus Protest gegen die Vorführung des italienischen Dokumentarfilms "Draquila - Italien zittert" kündigte Sandro Bondi, Silvio Berlusconis Kulturminister, seinen Boykott des Festivals an. Der Dokumentarfilm wirft einen kritischen Blick auf das Krisenmanagement der Regierung Berlusconi nach dem Erdbeben in der Ortschaft L'Aquila im vergangenen Jahr.
Pünktlich zum Start des wichtigsten Filmfestivals der Welt erinnert der Internationale Kritikerverband (FIPRESCI) auch noch einmal an das Schicksal des bekannten iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Der war Anfang März mit Frau und Tochter von der Polizei festgenommen worden. Seitdem sitzt Panahi ohne Anklage im Gefängnis. Der frühere Assistent von Abbas Kiarostami hatte 1995 in Cannes für sein Debüt "Der weiße Ballon" die "Goldene Kamera" erhalten. Seine derzeitige Haft sei ein Verbrechen gegen die Demokratie und grundlegende Menschenrechte, hieß es bei der FIPRESCI. Ob dieser Appell und weitere Diskussionen während der Festspiele in Cannes die Machthaber in Teheran zum Nachdenken bringen, ist allerdings zweifelhaft.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Aya Bach