Was wird aus dem Cannes-Filmfestival?
12. Mai 2020Kein Roter Teppich vor dem Festivalpalais, kein Schaulaufen der Stars. Die Filmfestspiele an der Croisette finden in diesem Jahr nicht statt. Eigentlich hätten sie an diesem Dienstag mit dem Eröffnungsfilm beginnen und Ende kommender Woche (23.5.) mit der feierlichen Verleihung der Goldenen Palme zu Ende gehen sollen. Doch daraus wird nichts. Aufgrund der Corona-Pandemie wäre eine große, glamouröse Veranstaltung, wie es die Filmfestspiele in Cannes sind, nicht vertretbar. Das Festival ist vorerst gänzlich abgesagt.
Cannes will kein digitales Filmfestival werden
Zunächst hatte man noch mit einer Verschiebung in den Frühsommer geliebäugelt. Doch auch das ist inzwischen passé. Eine Verlagerung ins Internet kommt fürCannes nicht in Frage. Neue Filme der Regiestars der Welt als Online-Weltpremiere? Für die Franzosen keine Alternative: "Cannes mit seiner Seele, seiner Geschichte, seiner Effizienz - was ist ein digitales Festival? Ein digitaler Wettbewerb?" verpackte Festivalchef Thierry Frémaux seine Antwort gegenüber dem amerikanischen Branchenblatt "Variety" in eine rhetorische Frage.
Das mag arrogant klingen, doch hinter der Skepsis, das Festival in irgendeiner Form digital zu präsentieren, stecken auch wirtschaftliche Bedenken: "Wir sollten zuerst einmal die Rechteinhaber fragen, ob sie damit einverstanden sind", so Frémaux. "Filme von Wes Anderson oder Paul Verhoeven auf einem Computer? 'Top Gun 2' anderswo als im Kino entdecken? Diese Filme sind verschoben worden, um auf der großen Leinwand gezeigt zu werden. Warum sollten wir sie vorher auf einem digitalen Gerät zeigen wollen?"
Der deutsche Filmfestival-Frühling findet zum Teil im Netz statt
Kleinere Festivals agieren da anders. Gerade der Mai ist eine Hoch-Zeit der Kinofestivals, insbesondere in Deutschland. In der ersten Mai-Hälfte würden normalerweise vier bedeutende Veranstaltungen stattfinden, in Oberhausen, Stuttgart, Wiesbaden und München. Die Festivals wurden zwar wegen der Pandemie abgesagt, doch anders als in Cannes wurde und wird für Ersatz gesorgt. Programme werden Online angeboten, manches soll im Herbst nachgeholt werden - dann hoffentlich wieder vor Publikum.
Das 20. "goEast - Festival des Mittel und Osteuropäischen Films" in Wiesbaden beispielsweise, das vom 5. bis 11.Mai stattfinden sollte, wurde sieben Wochen vor Beginn abgesagt. Statt der Kino-Ausgabe aber wurde "eine hybride Festivallösung" entwickelt. Während des ursprünglichen Festivalzeitraums wurden exklusive Programmhighlights on Demand angeboten, anderes kostenfrei gezeigt.
Eine Preisverleihung wurde komplett in ein virtuelles Kino verlegt, einem "Nachbau" des traditionsreichen "Caligari"-Kinos in Wiesbaden: "In Zusammenarbeit mit VRrOOm ist goEast das erste Festival weltweit, das seinem Publikum VR- und 360° Projekte online und in virtueller Umgebung anbietet", heißt es stolz von Festivalseite. Der "goEast"-Wettbewerb soll beim Wiesbadener Festival "exground filmfest" im November nachgeholt werden, dann auf großer Leinwand.
Leinwand und Publikum bleiben wichtige Festivalbestandteile
Doch das soll kein Modell für die Zukunft sein, so das Festival: "Wir sind der festen Überzeugung, dass Film auf die große Leinwand gehört und haben uns darum bewusst dazu entschieden, unser Programm nicht vollständig online anzubieten. Unser selbsterklärtes Ziel bleibt das Kino als einzig wahrer Spielort für Film." Das schönste an einem Filmfestival seien "die Begegnungen zwischen Publikum, Filmschaffenden und Branchenvertretern".
Online-Experimente wurden auch in Stuttgart gemacht. Die Reaktionen vom gerade beendeten 27. Internationalen Trickfilmfest Stuttgart (5.-10.Mai) fielen laut Veranstalter positiv aus: "Wir sind mangels eigener Erfahrungen, aber auch noch ohne Möglichkeiten auf Vorbilder zu schauen, mit äußerst zurückhaltenden Prognosen in die Festivalwoche gegangen", erklärt der künstlerische Leiter Ulrich Wegenast: "Der Ticketverkauf begann erst zum Festival; wir stellten aber schon am ersten Tag fest, dass unsere Erwartungen weit übertroffen wurden, sowohl die Views der Eröffnung im Live-Stream als auch die verkauften Tickets für die Bezahlbereiche zeigen uns, dass unser Angebot ankommt."
Verleiher, Festivals und Filmemacher seien vom Konzept überzeugt worden: "Die Rückmeldungen und der Austausch mit unseren Zuschauern und der internationalen Animationscommunity sind hervorragend." Das Festival hat so über 250 Animationsfilme, darunter fast das komplette Wettbewerbsprogramm, online gezeigt.
Dieter Krauß, kaufmännischer Leiter des Festivals, wagt sogar einen optimistischen Blick in die Zukunft: "Wir werden diese Erfahrung und das aufgebaute Know-How auf jeden Fall in die Planungen der nächsten Festivals einfließen lassen. Hier werden hybride Festivalformate die Möglichkeit bieten, unserer öffentlichen Aufgabenerfüllung eine breitere und noch internationalere Wahrnehmung zu geben, also deutlich mehr Menschen zu erreichen." Trotzdem hätten aber auch in Zukunft "die persönlichen Kontakte im direkten realen Austausch und das gemeinsame Film-Schauen und -Erleben eine überragend große Bedeutung".
Online bedeutet nicht kostenlos
Ähnliches hört man auch aus München, wo vom 6. - 24. Mai das "DOK.fest" stattfindet, dass dem Dokumentarfilm gewidmet ist. Auch hier entschied man sich nach der Absage des "normalen" Festivals für eine Online-Ausgabe. Festivalleiter Daniel Sponsel: "Die Zahl der Online-Ticketkäufe hat unsere Erwartungen jetzt zu Beginn des Festivals schon übertroffen. Das zeigt uns: Die Menschen wollen diese gesellschaftlich relevanten und künstlerisch anspruchsvollen Dokumentarfilme unbedingt sehen." Dafür seien diese auch bereit zu zahlen: "Filmkunst darf auch im Internet nicht kostenlos sein", so Sponsel.
Es sei zudem "großartig", fügt er hinzu, dass so viele Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber ihre Filme auch für die Online-Edition zur Verfügung gestellt haben. Mit Blick auf die Zukunft aber meint er: "Der Ort eines Filmfestivals bleibt das Kino. Wir freuen uns sehr auf die nächsten Festivaleditionen, bei denen wir wieder gemeinsam im dunklen Saal lachen oder gemeinsam berührt sein können. Aber wir könnten uns vorstellen, zwischen den Festivals, über das Jahr, ausgewählte Filme online zu zeigen, also ein kleines, feines kuratiertes Programm anzubieten."
Der Kurzfilm im Netz - beim Festival in Oberhausen
Eine Online-Ausgabe planen auch die Veranstalter der "Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen" (13.-18. Mai): Für 9,99 Euro kann dort ein Festivalpass erworben werden, mit dem rund 350 Kurzfilme sowie Diskussionen gesehen und verfolgt werden können. Die Einnahmen sollen an eine Kulturstiftung gehen.
Für Festival-Leiter Lars Henrik Gass erwachsen aus der derzeitigen Krisensituation Perspektiven: "Wir sind auf dem Weg zu einem Festival, das nicht mehr auf Ort und Zeit beschränkt ist." Er denke darüber schon länger nach, sagt Gass. "Wir diskutieren gerade das Verhältnis dessen, was wir künftig weiter im Kino zeigen und was wir möglicherweise zusätzlich oder alternativ online zeigen wollen. Auf jeden Fall werden wir einige Formate, die wir in diesem Jahr in der Not entwickelt haben, fortführen beziehungsweise weiterentwickeln."
Die Veranstalter des Festivals in Cannes überlegen gerade, ob sie in irgendeiner Form mit den Festspielen in Venedig kooperieren können. Venedig, neben Cannes und der Berlinale eines drei Top-Festivals der Welt, hält derzeit noch am geplanten Termin Anfang September (2.-12.9.) fest.
Doch Cannes-Chef Frémaux räumt auch ein: "Niemand weiß derzeit, was die zweite Jahreshälfte bringt und ob es möglich sein wird, große Filmevents zu organisieren." Doch zumindest dem Film-Markt in Cannes, jedes Jahr wichtiger Umschlagplatz für Film-Einkäufer aus aller Welt, wurde ein Ausweichtermin für ein kleines Online-Festival eingeräumt. Das soll vom 22. bis zum 26. Juni stattfinden.
Ein Online-Film-Festival für alle User
Apropos Kooperation: Cannes und Venedig, aber auch die Berlinale, das Festival in Toronto sowie weitere internationale Festspiele wollen ab Ende Mai (29.5.-7.6) den Zuschauern weltweit ein kostenloses Online-Filmfestival im Videodienst YouTube anbieten. Unter dem Namen "We Are One: A Global Film Festival" sollen Spielfilme, Kurz- und Dokumentarfilme, Musik und virtuelle Runde Tische präsentiert werden.