Carl Zeiss - Unternehmer mit Herz
9. September 2016Das Volkshaus in Jena, 1903 eröffnet, war eine der ersten freien Bildungsstätten in Deutschland. Heute dient es hauptsächlich als Veranstaltungsort für kulturelle Zwecke und gehört der Ernst-Abbe-Stiftung. Das Zeiss-Planetarium in Jena ist die älteste noch arbeitende Sternwarte der Welt - es gehört der Ernst-Abbe-Stiftung.
Der Fußballverein der Stadt ist der FC Carl Zeiss Jena, und er trägt seine Heimspiele im Stadion mit dem Namen "Ernst-Abbe-Sportfeld" aus. Seine großen Zeiten als dreimaliger DDR-Meister und Europapokalfinalist sind vorbei, der Verein spielt heute in der vierten Klasse. Doch ist der Fußballklub noch immer eines der Aushängeschilder der Stadt.
Den Namen Ernst Abbe und vor allem Carl Zeiss begegnen der Jenenser und der Jena-Besucher noch immer auf Schritt und Tritt. Der Mann, dessen Name Jena noch heute zu beherrschen scheint, wurde vor zweihundert Jahren im nur 20 Kilometer entfernten Weimar geboren.
"Atelier für Mechanik"
Carl Zeiss kam aus einfachen, aber nicht ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter, mit Goethes Ehefrau Christiane Vulpius verwandt, stammte aus einer angesehenen Familie, der Vater, Johann Gottfried August, war Handwerksmeister, der sich in Weimar als Kunstdrechsler niedergelassen hatte. Damals schrieb man den Familiennamen übrigens Zeiß - erst seit 1885 wird der Name Zeiss so geschrieben, wie wir es heute gewöhnt sind. Der ebenfalls in Weimar lebende sächsische Erbprinz und spätere Großherzog Karl-Friedrich lernte bei Vater Zeiß das Drechseln und freundete sich mit dem Handwerker an. So wurde er auch Taufpate des fünften Kindes der Eheleute Zeiß, des am 11. September 1816 geborenen, nach ihm benannten Carl Friedrich Zeiss.
Carl besuchte das Gymnasium in Weimar und ging, weil er sich überwiegend für technische und praktische Dinge interessierte, 1834 nach Jena, um beim Hofmechaniker Friedrich Körner eine Mechanikerlehre zu beginnen. Nach Lehre und Wanderjahren, die ihn unter anderem nach Berlin und Wien geführt hatten, ließ sich Zeiss schließlich wieder in Jena nieder, wo er eine Konzession zur "Errichtung eines Ateliers für Mechanik" erwarb.
100 Gulden Startkapital
In Jena führte Zeiss quasi die Geschäfte seines ehemaligen Lehrherrn fort. Der Physiker Lutz Wenke, er war 1996 zurzeit des 150. Firmengeburtstages der Zeiss-Werke Direktor des Optischen Museums im Jena, zu Carl Zeiss' Anfängen: "Zeiss hat die Kunden von Körner übernommen." Im Jahr 1846 gründete Zeiss mit dem Grundkapital von 100 Gulden, die ihm sein Bruder geliehen hatte, seine Firma.
Im Gespräch mit der DW erzählte Lutz Wenke, wie die noch junge Firma schon bald jenes Geschäftsfeld zu bearbeiten begann, auf der später ihr Weltruhm gründete: Zeiss habe schon recht bald begonnen, "Mikroskope zu bauen. Das waren zunächst einfache Mikroskope, um 1850 immer stärker auch zusammengesetzte Mikroskope -also bestehend aus Objektiv und Okular - so wie wir das heute kennen."
Erfolg im zweiten Versuch
Zeiss' Produkte hatten schon bald einen guten Ruf: Sie waren nicht teuer, aber präzise und zuverlässig. Doch es war nicht nur die Qualität seiner Arbeiten, die Zeiss einen Vorsprung vor der Konkurrenz einbrachte. Für den Physiker Wenke war etwas anderes entscheidend: Zeiss habe große Geduld "mit dem Einbringen der Wissenschaft in die Optik" bewiesen. Er habe als einer der ersten Unternehmer verstanden, wie wichtig Grundlagenforschung für technische Innovation und schließlich auch für wirtschaftlichen Erfolg ist.
Der Durchbruch begann mit der Verpflichtung zweier Spezialisten: Der Westfale Otto Schott stellte Glas her, mit dem die Qualität der optischen Geräte entscheidend verbessert werden konnte. Schott, der in Aachen studiert hatte, hatte bereits in seiner Geburtsstadt Witten an der Ruhr Deckgläser für mikroskopische Präparate produziert.
Wichtiger noch war die Zusammenarbeit mit Ernst Abbe. Der angesehene Physiker überzeugte Zeiss, dass auf dem Gebiet der Mikroskopie die Zukunft für sein Atelier lag. In Jena entwickelte Abbe, der über "die Äquivalenz zwischen Wärme und mechanischer Arbeit" promoviert hatte, die theoretischen Grundlagen der modernen Optik.
Entscheidend, so Lutz Wenke, sei es gewesen, dass Zeiss an Abbe festgehalten habe. Zeiss habe schon vorher mit einem Weimarer Mathematiker versucht, "die Konstruktion und die Fertigung von Mikroskop-Objektiven auf eine mathematisch-physikalische Grundlage zu stellen. Zeiss ist es hoch anzurechnen, dass er mit Abbe einen zweiten Versuch unternahm, der schließlich zu einem überwältigenden Erfolg geführt hat."
Sozialreformer Ernst Abbe
Die theoretischen Grundlagen, die der Physiker und Optiker Abbe beisteuerte waren aber nur ein Teil seines Verdienstes. Abbe, 1840 im thüringischen Eisenach geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen und kannte die Bedingungen, unter denen Industriearbeiter ihr Leben fristeten, aus persönlicher Erfahrung. Die Konsequenzen, die er für sich und seine Arbeit daraus zog, sorgten dafür, dass er der Nachwelt nicht nur als Wissenschaftler sondern auch als Sozialreformer im Gedächtnis geblieben ist.
Ob es sich um die Arbeitszeiten, die Wohnbedingungen oder die Bildungsmöglichkeiten der Arbeiter handelte - Ernst Abbe sorgte sich nicht nur, er kümmerte sich. Mit dem Geld, dass die Firma Zeiss und er selbst verdient hatten, gründete er ein Jahr nach dem Tod des Firmengründers die Carl-Zeiss-Stiftung.
Abbe selbst stiftete die Jenaer Lesehalle und das Volkshaus. Obwohl Mitglied der Freisinnigen Volkspartei, förderte er die Emanzipation der Sozialdemokraten in Deutschland. In seinen sozialpolitischen Schriften setzte er sich für die Belange der Arbeit ein. Dass schließlich der Achtstunden-Tag eingeführt wurde, ist auch auf sein Engagement zurückzuführen.
Erfolg, von dem alle profitieren sollen
Der Unternehmenshistoriker Lutz Wenke weist darauf hin, dass Abbes Engagement nicht denkbar ist ohne den wirtschaftlichen Erfolg der Jenaer Zeiss-Werke: "Die Objektive, die nach Abbes Berechnungen hergestellt wurden, machten Jena über lange Zeit konkurrenzlos. Dieser "Mikrokosmos Zeiss Jena" schuf die Möglichkeiten für die Pensionen, die er eingerichtet hat, die medizinische Versorgung, die Einrichtung einer Kinderklinik, das Volksbad in Jena oder das Volkshaus."
Die sozialen Errungenschaften, die auf die Stiftung des Unternehmens zurückgehen, existieren teilweise noch heute, wie etwa das Volkshaus. Und die enge Verbindung von Wissenschaft und Industrie, von Forschung und Umsetzung, von theoretischer Erkenntnis und ihrer praktischer Anwendung - das ist noch heute in Jena sichtbar, in Form des Beutenberg-Campus im Süden der Stadt. Dort sind verschiedene Institute der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Friedrich Schiller-Universität angesiedelt. Hier wurde vor zehn Jahren auch das Ernst-Abbe-Zentrum eröffnet.