Richtungsstreit in der CDU
5. November 2018Für die CDU geht es darum, ob sie ihr Profil wieder nach rechts ausweitet. Diese Frage poppt nicht aktuell auf, sondern brodelt als strategische Diskussion schon seit Jahren in der Partei. Denn Angela Merkel hat in 18 Jahren Parteiführung die CDU nach Mitte-Links verschoben. Politiker mit klar konservativem Profil verließen die Partei oder landeten im politischen Abseits. Das so entstandene Vakuum füllt seit fünf Jahren eine neue Partei - die "Alternative für Deutschland". Die AfD konnte sich seit 2013 unter anderem mit Positionen etablieren, die von der CDU aufgegeben worden waren.
Nun sind die Folgen dieses Kurses nicht mehr wegzudiskutieren. Die CDU ist von rund 40 Prozent binnen weniger Jahre auf 25 Prozent abgerutscht, das historisch schlechteste Umfrageergebnis. Von einer einst mächtigen politischen Kraft ist nur noch eine halbe Volkspartei übrig geblieben. Der Zustand der Sozialdemokraten zeigt: Es geht noch schlimmer! Die älteste Volkspartei Deutschlands kämpft bei Wahlen inzwischen um den 3. Platz.
Dilemma um neues Profil
Die CDU hat nicht nur in Ostdeutschland Wähler an die AfD verloren. Richtig ist aber, dass es - vor allem in Großstädten - eine zweite Wählerwanderung hin zu den Grünen gibt. Was ist also strategisch klüger? Ein Schwenk nach rechts mit der Gefahr, am linksliberalen Rand zu verlieren? Oder weiter geradeaus in der Mitte? Dass die CDU vor einem Dilemma um die künftige Richtung der Partei steht, hat tieferliegende Ursachen: Diese beiden Parteien - die rechtspopulistische AfD und die linksliberalen Grünen - sind die Pole eines neuen politischen Grundkonflikts.
Jetzt gehe es darum, wie modern oder traditionell die Gesellschaft sein soll. Weiter in Richtung EU und Globalisierung oder doch lieber hin zum neuen Nationalismus? Multikulti oder deutsche Leitkultur und Heimat? Grenzen offen oder Grenzen dicht? Der Politologe Thorsten Faas aus Berlin nennt es die "soziokulturell-identitären Fragen". Sie entscheiden heute mehr über das Profil einer Partei als die klassische Rechts-links-Orientierung. Auch ökonomische Fragen interessieren heute weniger, denn Deutschland geht es wirtschaftlich blendend.
Die neue Debatte um die postmateriellen Fragen hat die Merkel-CDU vermieden - wohl auch, weil sie keine weiteren Diskussionen um die Flüchtlingskrise und ihre Folgen wollte. So haben sich die Wähler die Antworten woanders gesucht - bei Grünen und AfD. Die sind da entschiedener. Merkels Nachfolger oder ihre Nachfolgerin wird diese Fragen aufnehmen müssen und so die zukünftige Richtung der CDU bestimmen.
Die Kandidaten
Für die Merkel-Nachfolge gibt es drei aussichtsreiche Bewerber: die derzeitige CDU-Generalsekretärin und Merkel-Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer, den "jungen Wilden" und Merkel-Kritiker Jens Spahn und Friedrich Merz, einen alten Konkurrenten von Merkel.
Die Drei werden um die Stimmen der 1000 Delegierten beim CDU-Parteitag am 7. Dezember kämpfen - Ausgang offen. Vorher könnte es noch sogenannte "Regional-Konferenzen" geben, auf denen sich die Kandidaten bundesweit vorstellen.
Spahn und Merz sind die Favoriten der Konservativen in der Union. Dazu gehören der Wirtschaftsflügel der Partei, große Teile der CSU-Führung und einige Landesvorsitzende im Osten. Letztere stehen unter Druck. Die AfD liefert sich dort ein Wettrennen mit der Volkspartei CDU. Zwischen 20 und 30 Prozent der Wählerstimmen könnten die Rechtspopulisten bei Landtagswahlen nächstes Jahr bekommen. Das würde eine Regierungsbildung für die Christdemokraten schwierig bis unmöglich machen - denn eine Koalition mit der AfD ist bislang tabu.
Vielleicht stellt sich die AfD-Frage bald gar nicht mehr. Die CDU-Spitzen im Osten erwarten einen Push-Effekt für die Partei allein durch Merkels Rücktritt. Sollte Merz gewinnen, der als wertkonservativ und wirtschaftsliberal gilt, erwartet sie zusätzlichen Aufwind.
Trotzdem kommen die meisten Delegierten beim Parteitag nicht aus dem Osten, sondern aus den alten Bundesländern. Dort gibt es auch mehrere CDU-Ministerpräsidenten und viele mittlere Parteifunktionäre. Viele von ihnen würden ihre Stimme Kramp-Karrenbauer geben. Sie steht für den Mitte-Links-Kurs von Merkel, wenn auch mit anderen Akzenten. Das würde auf mehr schwarz-grüne Bündnisse hinauslaufen.
Welcher Kandidat passt zu wem?
Die politischen Portfolios der Kandidaten überschneiden sich bei einigen Themen wie Abtreibung, "Homo-Ehe", Europapolitik oder Klimaschutz. Wohl auch wegen dieser Unschärfe dreht sich die Kandidaten-Diskussion derzeit mehr darum, wie Merkel-nah oder Merkel-fern die Bewerber sind.
Mit dem Wechsel an der Spitze Anfang Dezember wird vor allem auch ein Thema zurückkehren - die Migrationsfrage. Die "Debatte ist aus Sicht vieler Bürger weder beendet noch gelöst", so Spahn kürzlich in einem Gastkommentar. Lange versprochene Lösungen stünden aus; weiterhin gebe es eine "ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung".
Spahns Konkurrent Merz hat sich dazu noch nicht geäußert. Dabei ist er derjenige, der im Jahr 2000 die erste große Debatte über die "deutsche Leitkultur" entfacht hatte. Auch Kramp-Karrenbauer wartet noch ab. Sie will sich erst diese Woche inhaltlich festlegen. Und dann geht der Kampf um die Ausrichtung der Christdemokraten richtig los.