CDU und CSU veranstalten "Friedensgipfel"
23. Juni 2016Seit gut einem Jahr tragen die beiden christdemokratischen Schwesterparteien CDU und CSU ihren politischen Streit in aller Öffentlichkeit aus - nicht nur, aber am massivsten über die Flüchtlingspolitik. Das Gute vorweg: Inzwischen ist dieser Streit aus seiner lähmenden Phase getreten. Jüngst einigten sich beide Parteien untereinander und dann mit dem dritten Koalitionspartner im Bund, der SPD, über einige der anderen lang diskutierten Fragen: wie es mit der Förderung Erneuerbarer Energien weitergehen soll und wie sie das Erbschaftsteuergesetz so gestalten, dass die Verfassungsrichter nicht erneut ihr Veto einlegen.
Trotzdem wollen CDU und CSU sich nun an zwei Tagen ins beschauliche Potsdam am Rande Berlins zurückziehen, um offiziell eine Art "Friedensgipfel" zu veranstalten. Doch im Mittelpunkt steht nicht nur die Suche nach unionsinterner Harmonie: Beide Parteien machen sich auch Sorgen um ihre Zukunft.
Notzeiten für Volksparteien
Blickt man in andere Länder Europas, dann scheint die jahrzehntelang selbstverständliche Macht der klassischen Volksparteien - der Sozialdemokraten und der Konservativen - zu erodieren. Sie werden von rechten wie von linken Populisten bedrängt. Die deutsche Sozialdemokratie ist in manchen Bundesländern schon auf diesem Abstiegspfad angekommen und schafft gerade noch zweistellige Zustimmungszahlen. Auch bundesweit sind die Umfragewerte mit unter 20 Prozent historisch niedrig. Droht der Union nun ein ähnliches Schicksal? Die deutschen Rechtspopulisten, die AfD, erreichen derzeit um die 15 Prozent - auf Kosten der anderen Parteien.
Die CDU liegt nur noch bei knapp über 30 Prozent, das sind zehn Prozentpunkte weniger als zur Bundestagswahl im September 2013. Die Lage für die bayerische CSU ist mit Werten über 40 Prozent nur rechnerisch entspannter. Denn dort sind die Erwartungen auch höher: Die CSU in Bayern will bei Wahlen stets die absolute Mehrheit gewinnen, damit sie ohne Koalitionspartner in München regieren kann. Nur dann, meinen die Christsozialen, könnten sie in der Bundespolitik mitreden. CSU-Chef Horst Seehofer will, so sagt er, nicht erst einen "Dritten" fragen müssen, bevor er im Kanzleramt auftritt. Das häufig zitierte Bild dazu ist der Löwe aus dem bayerischen Staatswappen. Macht- und eindrucksvoll brüllt er aus München in Richtung Berlin - so zumindest sieht es das Selbstbild der CSU.
Christsoziale Drohungen
Es steckt immer auch taktisches Kalkül dahinter, wenn politischer Streit in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Denn auf der öffentlichen Bühne kann man das eigene Profil betonen. Ein bisschen streiten ist also okay. Doch die Grenze zum Destruktiven ist schmal. Zu viel Streit kommt in der deutschen Öffentlichkeit, die den Konsens liebt, nicht gut an. Der jüngste Streit zwischen CSU und CDU war so ein Fall. Er lief aus dem Ruder. Warum?
CDU und CSU hatten grundlegende Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel setzte über Monate hinweg auf eine europäische Lösung, um die Schutzsuchenden zu verteilen. Die CSU-Führung teilte diesen Ansatz zwar, stieß sich aber daran, dass keine europäische Einigung auf Quoten zur Verteilung der Neuankömmlinge zustande kam. Ihr Vorschlag: Nationale Abschottung sollte die europäischen Pläne ergänzen. Doch davon wollte die Kanzlerin nichts wissen.
Der CSU-Chef baute also zusehends mehr Druck auf. Die Drohungen reichten von einer verpflichtenden Obergrenze für die Anzahl Asylsuchender über eine Verfassungsklage bis zur Ankündigung, die Fraktionsgemeinschaft im Bund aufkündigen zu wollen. Letzteres ist die schärfste Waffe der CSU. Die Christsozialen haben sie bisher nur ein Mal in Anschlag gebracht, im Jahr 1976 für wenige Wochen, dann war der Frieden wieder hergestellt und die CSU bekam fortan mehr Aufmerksamkeit am damaligen Regierungssitz Bonn.
Zusammenraufen vor den Bundestagswahlen
Letztendlich war es die österreichische Regierung, die für Entspannung in der Union sorgte. Nachdem Wien die Balkanroute mit eigenen Obergrenzen wirksam abgeriegelt hatte, kamen auch in Deutschland kaum noch Flüchtlinge an.
Doch der Streit hatte Wunden hinterlassen. Vor allem Seehofers öffentliche Schelte, mit der er Merkel auf der Bühne des CSU-Parteitags abkanzelte, wird wohl in die Annalen der Parteigeschichte eingehen. Das nahmen ihm viele CDU-Mitglieder übel - selbst die, die in der Flüchtlingsfrage auf seiner Linie waren.
In Potsdam wollen die Kontrahenten nun gemeinsam die Zukunft in den Blick nehmen - bei einem "schönen Wochenende", wie die CSU-Chefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, die Atmosphäre der Presse gegenüber beschrieb. Vergangenheitsbewältigung stünde nicht auf der Agenda. "Wir wollen uns wieder zusammenraufen und die Menschen von unserer Politik begeistern", fügte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hinzu. Sein Kollege, CDU-Generalsekretär Peter Tauber, nannte große Themen, die besprochen würden: Europa, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Digitalisierung, Zusammenhalt der Gesellschaft und Migration. Hierzu wollten die Parteispitzen gemeinsame Positionen erarbeiten. Darauf wies auch die Kanzlerin am Tag vor dem Treffen hin: Es sei eine "Beratungssitzung".
Die Union muss sich zusammenraufen. In gut einem Jahr sind Bundestagswahlen. Inmitten des Streits hatte die CSU mit getrennten Wahlprogrammen gedroht. Davon war kurz vor dem Treffen allerdings nicht mehr die Rede.
Stattdessen dürfte es auch um den Umgang mit den Grünen gehen. Die CDU will sich diese Koalitionsoption für 2017 offen halten. Bei der CSU gibt es massive Bedenken gegen ein schwarz-grünes Bündnis. Gerade in der Asylpolitik sind die Gräben sehr tief zwischen der CSU und den Grünen im Bund, die sich für eine mehr oder weniger unbegrenzte Willkommenskultur einsetzen. Das Thema hat also seine potentielle Sprengkraft nicht verloren.