Chansonsänger Charles Aznavour gestorben
1. Oktober 2018Er hatte noch viel vor, wollte sich vom Alter nicht in die Knie zwingen lassen: Aber Charles Aznavours lang geplante Europatournee in diesem Jahr konnte dann doch nicht mehr stattfinden. Ein Sturz, bei dem er sich einen Armbruch zuzog, war der offizielle Grund, ein Schwächeanfall kam hinzu.
"Aufhören ist wie Sterben, dafür bin ich noch nicht bereit", hatte er noch zum Tourneeauftakt im Dezember 2017 gescherzt. Jetzt ist der französische Chansonsänger und Schauspieler Charles Aznavour im Alter von 94 Jahren im südfranzösischen Alpilles gestorben, wie die Nachrichtenagentur AFP am Montag vermeldete.
Mehr als 1000 zum Teil weltbekannte Chansons - für sich und auch für andere Stars - hat Aznavour in seinem langen Leben komponiert und getextet, darunter Klassiker wie "La Bohème", "Emmenez-moi" und "She". Er schrieb Welterfolge für Edith Piaf und für Maurice Chevalier, sang in sieben Sprachen und war in den Konzertsälen überall auf der Welt zu Hause, wo er bis zuletzt sein Publikum begeisterte.
Aufstieg aus kleinen Verhältnissen
Geboren wurde Charles Aznavour im Pariser Quartier Latin. Am 22. Mai 1924 kam er dort als Kind armenischer Flüchtlinge unter dem Namen Schahnur Waghinak Asnawurjan zur Welt. Seine Eltern, beide Künstler, führten ein kleines Restaurant, voller Stolz in alter Familientradition: Der Großvater hatte als Koch am russischen Zarenhof gearbeitet.
Aznavour wuchs im Milieu der vielsprachigen Pariser Bohème unter "begabten Habenichtsen" auf, wie er später erzählte. Schon als Jugendlicher hatte er kleine Theaterrollen und trug in den Bistros armenische Lieder vor, um Geld dazu zu verdienen. Sein Künstlername stammt aus dieser Zeit. Seit 1982 führte er ihn auch offiziell als Familiennamen im Pass.
Ein Schallplatte mit Chansons von Maurice Chevalier inspirierte den jungen Aznavour zu ersten eigenen Liedern; er wollte Musiker werden. Aber während des Zweiten Weltkriegs musste er sich in ganz anderen Berufen durchschlagen und zeitweise vor den Nazis verstecken. 1944 begleitete er den Pianisten Pierre Roche bei seinen Tourneen und lernte in einem Vorstadtcafé Edith Piaf kennen. Für sie komponierte und textete er viele weltberühmte Chansons, aber sie gab ihm auch den Rat, es selbst als Sänger zu versuchen.
Vorkämpfer für Minderheiten
Seinen Durchbruch als Schauspieler hatte Charles Aznavour 1960 in dem Kinofilm "Schießen Sie nicht auf den Pianisten", unter der Regie von Francois Truffaut. Durch seine Rolle in der Oscar-prämierten Verfilmung "Die Blechtrommel" (1979) von Volker Schlöndorff machte er sich auch international einen Namen.
Insgesamt stand Aznavour in über 70 Filmen vor der Kamera und schrieb zu vielen Filmen auch die Musik. Eines seiner Herzensprojekte war seine Mitwirkung in Atom Egoyans Film "Ararat" (2002), der den Genozid an den Armeniern zum Thema hatte. Auch seine Familie war vor den Verfolgungen aus Armenien nach Frankreich geflohen.
Sein politisches und soziales Engagement, vor allem für sein Heimatland Armenien, hat ihn Zeit seines Lebens wach und kritisch gehalten. 1995 bestellte ihn die UNESCO zum Sonderbotschafter für Armenien, seit 2009 war er armenischer Botschafter in der Schweiz, wohin er nach einem Steuerskandal gezogen war. Zum Repertoire auf seinen Konzerten gehörten auch armenische Volkslieder.
Aber Charles Aznavour setzte sich auch immer wieder für Randgruppen ein: Den Taubstummen widmete er sein Chanson "Mon émouvant amour". Einige seiner Liebeslieder landeten wegen ihres freizügigen Textes auf dem Index der Katholischen Kirche.
Platz im Olymp des französischen Chansons
Die musikalische Bilanz seiner langjährigen Karriere ist beeindruckend: Er verkaufte mehr als 180 Millionen Schallplatten und CDs und ging bis zum Schluss auf Konzerttourneen, auf denen er von seinem Publikum frenetisch gefeiert wurde. Seine Comebacks waren zahlreich, immer wieder überzeugte der agile, schlanke Bühnenkünstler seine Fans davon, dass er ihnen lange erhalten bleiben würde.
Mit seinen unvergesslichen Chansons ist Charles Aznavour in die Musikgeschichte - auch in Deutschland - eingegangen. "Er ist der letzte der großen französischen Sänger, die Jazz und Pop mit französischer Identität zu einer Legierung verschmelzen können", schrieb die Tageszeitung "Die Welt" 2002 über ihn.
Mit seiner legendären CD "Duos", für die er 2008 mit so unterschiedlichen Stars wie Placido Domingo und Herbert Grönemeyer im Studio stand, hat er sich auf seine Weise ein musikalisches Denkmal gesetzt. Der große Chansonnier ist längst ein Teil der Kulturgeschichte Frankreichs: als Ritter und Offizier der französischen Ehrenlegion und Träger der Grande Médaille de la Chanson. Ein Platz im Olymp des französischen Chanson ist ihm sicher.